Brauchen wir einen sozialen Pflichtdienst?
BAYER. UNTERMAIN (mz). Sich für die Gesellschaft engagieren - das ist das Ziel eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJ). Egal ob in der Kita oder Pflegeheim, das FSJ gibt vielen jungen Menschen die Chance, bereits im jugendlichen Alter einen Dienst für die Gesellschaft zu leisten. Doch sollte der wirklich auf freiwilliger Basis bleiben? Regelmäßig werden Vorschläge diskutiert, ein verpflichtendes soziales Jahr einzuführen. Aber hilft eine Pflicht wirklich, das soziale Engagement zu erhöhen?
Er ist wohl der prominenteste Verfechter eines verpflichtenden sozialen Jahres - Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. Regelmäßig fordert das Staatsoberhaupt eine sogenannte soziale Pflichtzeit. Damit würde nicht nur der gesellschaftliche Zusammenhalt, sondern auch die Demokratie gestärkt. Nach Vorstellungen von Steinmeier müssten auch die Dauer und das Alter eines sozialen Dienstes flexibel angelegt werden. Bisher entscheiden sich meist junge Menschen für ein FSJ. Und während aus der Politik größtenteils Ablehnung für diese Idee zu hören ist, gehen die Meinungen in sozialen Einrichtungen auseinander.
Bloß keine Sanktionen
„Ich sehe darin einen Mehrwert für die Gesellschaft und insbesondere für junge Menschen, aber ein Zwang ist natürlich nicht zielführend. Ich bin jedoch für eine gewisse Verpflichtung eines gesellschaftlichen Beitrags“, sagt Christoph Schlämmer, Leiter des Fachbereichs Integration und Teilhabe im Aschaffenburger Caritasverband. „Die Wahl sollte auf jeden Fall bei den Menschen und auch bei den Trägern belassen werden - ein reguläres Bewerbungsprozedere. Und ganz wichtig: keine Sanktionen oder Strafankündigungen. Es sollten lieber Anreize gesetzt werden, dass sich junge Menschen in einem Freiwilligendienst engagieren.“ Interesse oder gar Bewerbungen von älteren Menschen sieht Schlämmer jedoch nicht. „Meist sind es Schulabgänger nach Abschluss der mittleren Reife oder des Abiturs.“ Dass diese Menschen weiter eine Chance bekommen, solle die finanzielle Unterstützung ausgebaut werden. „Ich hoffe von der Politik, dass sie die Träger, die Menschen eine Chance geben wollen, auch finanziell entlasten, z.B. durch eine anteilige Refinanzierung.“
„Pflichtdienst nicht zielführend“
Auch für Ela Groß, Leiterin der Kita St. Ottilia in Bessenbach, spielt der finanzielle Aspekt eine große Rolle. „Man sollte den jungen Leuten das auf jeden Fall finanziell attraktiv vergüten und vielleicht auch für die Rente anerkennen.“ Auch in ihrer Einrichtung erhalten junge Menschen Chancen, sich sozial zu engagieren, die Idee eines sozialen Pflichtdienstes, hält sie jedoch für nicht zielführend. „Die Bereiche, in denen soziale Jahre geleistet werden, werden davon nicht nur profitieren. Sie arbeiten oft mit anderen Menschen, bei uns mit Krippen- und Kindergartenkindern. Wenn sie da keine Motivation haben, ist es schwer, einen wertschätzenden Umgang mit den Kindern zu finden.“ Für Jobs im sozialen Bereich brauche es demnach eine gewisse Berufung. „Das ist kein Job, den man von acht bis sechzehn Uhr absolviert. Da benötigt es absolutes Herzblut.“
„FSJ“ auch in anderen
Bereichen anbieten
So sieht das auch Andrea Weyrauther. Sie ist Leiterin des Senioren Wohnstifts St. Elisabeth in Aschaffenburg. Die Diskussion rund um einen sozialen Pflichtdienst greift ihr aber zu kurz. „Es wäre doch viel wichtiger, statt über eine Pflicht zu reden, lieber die Möglichkeiten für ein soziales Jahr auszubauen. Es muss doch nicht immer in einem Pflegeheim sein, man kann sich doch auch in einem Sportverein engagieren. Die Angebote müssen so sein, dass sich jeder irgendwo wiederfindet.“ Auch Weyrauther wünscht sich mehr Anreize für soziales Engagement. „Es muss erstmal ins Bewusstsein der Leute gerückt werden, dass das auch einen Wert für die Gesellschaft hat. Ich habe es noch nie erlebt, dass ein junger Mensch danach sagte, dass es sich nicht gelohnt habe.“ Und egal, ob ein solcher Dienst freiwillig bleibt oder zur Pflicht wird: In den Einrichtungen sind die Erfahrungen mit Jugendlichen, die sich sozial engagieren sehr positiv - für beide Seiten.
Das sagen die PrimaSonntag Leser
„Ich bin selbst seit einigen Jahren sozial engagiert. Ich finde es gut, wenn junge Menschen sich engagieren, aber verpflichtend sollte es nicht werden. Freiwillig, aber mit ehrenamtlicher Vergütung.“
„Das finde ich erstrebenswert. Ich finde die gesellschaftliche Entwicklung ohnehin sehr bedenklich, die Jugend ist immer weniger bereit sich zu engagieren.“
„Ich finde die Idee gut. Es sollte auch Sanktionsmöglichkeiten geben. Heißt: Wer das nicht macht, sollte vielleicht ein paar Euro mehr Steuern bezahlen.“
„Das sollte freiwillig bleiben, es gibt schon genug Pflichten bei uns. Ab einem gewissen Alter braucht man nicht mehr jemanden, der einem was vorschreibt.“