Die Gebietsreform - eine Erfolgsgeschichte?
BAYER. UNTERMAIN (fs). „Ein historisches Datum“, so steht es im Aschaffenburger Volksblatt im Jahr 1972. Gemeint ist der 1. Juli, der Stichtag der Gebietsreform in Bayern. Auch am Bayerischen Untermain hat sich damals einiges verändert. Der Kreis Obernburg wurde an den Kreis Miltenberg angegliedert, genauso hat auch der Kreis Alzenau seine Eigenständigkeit verloren. Viele Dörfer wurden ebenfalls in größere Orte eingemeindet. Am Freitag feiert die Gebietsreform am Bayerischen Untermain 50-jähriges Jubiläum. Und PrimaSonntag nimmt Sie mit auf eine kurze Reise in die Vergangenheit.
Vor dem 1. Juli 1972 bestand der Bayerische Untermain noch aus vier Landkreisen zusätzlich zur Stadt Aschaffenburg. Außerdem: Unzählige winzige Gemeinden gehörten ihnen an. Im gesamten Freistaat Bayern wurde deshalb eine Gebietsreform durchgeführt. Aber warum war das überhaupt notwendig? Mit der Umstrukturierung folgte nämlich ein riesiger bürokratischer Aufwand. „Der Hauptgrund war die Verwaltungsvereinfachung“, beschreibt es Ludwig Martin Büttner. Er ist der Sohn von Ludwig Büttner, dem damaligen Bürgermeister der Stadt Miltenberg und war später selbst als Stadtrat aktiv. Aus 143 Landkreisen sind am Ende 71 geworden. „Davor ist jeder mit seinem winzigen Problem zum Land gekommen. Jetzt ist das deutlich einfacher." Marianne Krohnen ist Bürgermeisterin aus Geiselbach und war damals 21 Jahre alt, hatte noch kein politisches Amt, aber ein sehr starkes Interesse an der Gebietsreform. Sie erklärt: „Die Dörfer wurden eingemeindet, um die örtliche Infrastruktur zu erhalten.“
Widerstand in der Bevölkerung
Größere Städte hatten daher viel mehr finanzielle Mittel und ein größeres Entwicklungspotential. Die kleinen Gemeinden konnten da nicht mithalten. „Deswegen schlossen sie sich nach und nach größeren Orten an, um die Leistungsfähigkeit zu stärken“, erklärt Roland Eller, Landrat im Kreis Aschaffenburg im Jahr 1972. Beispiele sind Breitendiel, das zu Miltenberg kam, Pflaumheim, das sich Großostheim angliederte oder Hofstädten, das sich Schöllkrippen anschloss. Doch die Gebietsreform war auf keinen Fall einfach ein formelles Thema, das ganz ohne Widerstand über die Bühne ging. Es brachte einiges an Problemen und Missgunst mit sich. Besonders der bürokratische Aufwand war groß. „Das wohl schwierigste waren die Autokennzeichen“, erklärt Büttner. Damals musste jeder Autofahrer sein Nummernschild von OBB auf MIL ändern und auch die Alzenauer bekamen nun ein AB auf ihr Kennzeichen. Heute sind die alten Nummernschilder tatsächlich wieder erlaubt. Aber auch Sozialhilfe, Ausbildungsförderungen oder sogar Änderungen von Briefköpfen und Formularen stellten die Menschen damals vor Herausforderungen.
Bürgermeister ohne Job
Dazu kam, dass der ein oder andere Landrat und auch die Bürgermeister um ihren Job bangen mussten. „Ich stand vor der Schwierigkeit, dass auf einmal jede Stelle doppelt besetzt war“, berichtet Roland Eller. „Da musste ich dann schauen, dass ich die Alzenauer Mitarbeiter nicht benachteilige.“ Für den einfachen Bürger ging es wohl eher um die Identifikation und das Zugehörigkeitsgefühl. „Die Menschen im Kreis Alzenau hatten vorher mit Aschaffenburg gar nichts zu tun“, meint Krohnen. „Durch die Geschichte haben wir uns mehr Richtung Hessen orientiert.“ Eine weitere Rolle spielte die Kirchenzugehörigkeit. „Hofstädten, Omersbach und Geiselbach gehörten zum selben Kirchensprengel“, erzählt Krohnen. „Am Ende ging aber nur Omersbach nach Geiselbach.“
Team Miltenberg gegen Team Obernburg
Interessant ist auch die Frage, warum Miltenberg damals den Kreissitz erhielt, obwohl Obernburg eigentlich doppelt so groß war und wirtschaftlich viel stärker. „Das ist zu einem Großteil der Verdienst meines Vaters“, sagt Büttner stolz. „Er hat im Kreisrat dafür geworben. Obernburg ist der Industriestandort. Das Aushängeschild des Kreises ist Miltenberg.“ Bis alle Gebiete, die zusammengelegt wurden, auch wirklich zusammengewachsen sind, hat es gedauert. „Parteiintern gab es auch richtig viele Streitereien“, erinnert sich Büttner. „Es gab Team Miltenberg und Team Obernburg.“
Büttner meint: „Die Gebietsreform war trotzdem eine Erfolgsgeschichte! Nach einer Zeit sind wir zusammengewachsen.“ Eller ist derselben Meinung: „Ich kann eigentlich nichts Schlechtes zur Gebietsreform sagen!“ Auch Krohnen stimmt zu: „Wir fühlen uns beim Kreis Aschaffenburg gut aufgehoben!“
Fotograf von Ludwig Martin Büttner: Roland Schönmüller
Erich Bachmann aus Schöllkrippen: „Grundsätzlich finde ich es immer gut, wenn sich Gemeinden zusammenschließen und etwas Positives daraus wird. Das traditionelle Denken von früher sollte man eher vergessen - vor allem dieser Konkurrenzkampf zwischen kleinen Gemeinden. Insgesamt finde ich die Gebietsreform eher gut als schlecht.“
Herr Schmidt aus Aschaffenburg: „Ich finde es ja richtig, weil dann auch die Verwaltung effizienter ist und professioneller arbeiten kann. Denn kleine Gemeinden so mit 500-600 Bewohnern waren in der Regel schlecht aufgestellt. Man kommt so auch leichter an öffentliche Gelder ran, weil man ein größeres Volumen hat.“
Familie Löw aus Aschaffenburg: „Die kleinen Gemeinden hatten durch die Gebietsreform nicht so viel mitzureden. Heute würde ich sagen, dass man früher die Leute auch alle besser gekannt hat, die in der Verwaltung gearbeitet haben. Und in einem kleinen Ort war der Zusammenhalt auch besser als danach durch die Eingemeindung.“
Urban Groth aus Heimbuchental: „Also für den Einwohner finde ich es schon besser, wenn es eine größere Gemeinde ist. Wir haben 2.300 Einwohner, wo ich herkomme. Das Gemeindewesen besteht mittlerweile aus drei Gemeinden und das finde ich auf jeden Fall besser, als wenn es in einem Ort von 500 oder 700 Einwohnern einen Bürgermeister gibt. Und die ganze Verwaltung kostet ja Geld. Die Alten wollen das zwar wieder zurück, aber ich brauche das nicht.“
Familie Kaab aus Aschaffenburg: „Der Fokus in der Politik sollte nicht so sehr auf wenigen mächtigen Menschen liegen, davon müssten wir wegkommen. Ich bin der Meinung, man sollte die gesamte Gemeinde abstimmen lassen und nicht nur irgendwelche Stadtverordneten. Deshalb sollte bei Entscheidungen auch das ganze Volk über das Vorgehen abstimmen dürfen“