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„Die Patienten können nichts für ihre Taten!“

14.08.2022, 06:44 Uhr in News
KW32 Forensik 1

BAYER. UNTERMAIN/LOHR (jm). Es führte zu einem regelrechten Aufschrei: Ende Juli sind die Messerstecher von Würzburg und Bessenbach in einer psychiatrischen Einrichtung statt einem Gefängnis untergebracht worden. Aber was bedeutet es für die Straftäter eigentlich in einer forensischen Psychiatrie eingesperrt zu werden? Wie unterscheidet sich der Tagesablauf zu einer Justizvollzugsanstalt? PrimaSonntag hat mit Experten gesprochen.

„War doch klar“, reagierte ein Facebook-User spöttisch auf das Urteil. Der 73-Jährige Bessenbacher soll Ende Juni seine zwölf Jahre jüngere Lebensgefährtin getötet haben. Einem Sachverständigen zufolge liegt bei dem Bessenbacher Rentner eine psychiatrische Grunderkrankung vor. Der Beschuldigte im Prozess um die tödliche Messerattacke in Würzburg ist nach Einschätzung eines Psychiaters psychisch krank und ohne Behandlung weiter hochgefährlich. „Bald braucht man keine Gefängnisse mehr. Sind ja alle krank“, heißt es weiter auf Facebook. Dr. Joachim Haas ist Leitender Oberarzt der Forensischen Psychiatrie in Lohr. Für ihn geht es in solchen Fällen nicht unbedingt immer um Strafe. „Wenn jemand mit einer aufgehobenen Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit zu uns kommt, ist er vom Gesetz her straflos“, entgegnet Dr. Haas. „Diesen Menschen wird dann eine Therapie auferlegt.“ Pro Jahr werden im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Aschaffenburg im Schnitt etwa vier bis fünf Unterbringungen ausgesprochen. „Der Täter muss eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen haben“, erklärt Dr. Sebastian Geis, stellvertretender Pressesprecher des Landgerichts. „Eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat muss ergeben, dass er infolge seines Zustandes für die Allgemeinheit gefährlich ist.“ Der Großteil der untergebrachten Beschuldigten leide unter einer paranoiden Schizophrenie.

KW32 Forensik 2

Sechs Zugänge vom Untermain
Die Fälle vom Untermain kommen in der Regel in die Forensische Therapie nach Lohr. „Aus der JVA Aschaffenburg haben wir dieses Jahr sechs Zugänge bekommen“, berichtet Michael Amann, Sicherheitsbeauftragter der forensischen Abteilung. Insgesamt sitzen in der Forensik Lohr 177 Menschen. „Wenn ein Häftling zu uns kommt wird er erstmal vorbereitet auf den Stationsalltag“, erklärt Amann. „Für uns sind das Patienten, die Hilfe brauchen.“ Dabei gibt es jeweils einen Bereich für psychiatrisch und Sucht erkrankte Straftäter. Die Therapie sei allerdings kein Zucker schlecken, wie von vielen angenommen – schöne Zimmer, Fernseher, Vollverpflegung sucht man hier vergebens. „Um mehr Freiheiten zu erhalten muss man sich hier bewähren.“ Die Insassen werden von Ärzten, Psychologen, Sporttherapeuten und teilweise auch von Lehrern begutachtet. Ziel ist es, dass sich die Insassen einen strukturierten Tagesablauf selbst erarbeiten und resozialisiert werden. „Ein Tag kann starten mit einer gemeinsamen Morgenrunde und Frühstück“, erklärt Dr. Haas. Darauf aufbauend können verschiedene Tätigkeiten ausgeführt werden. Anfangend mit dem Zusammenbauen von Wäscheklammern und der Herstellung von Stoffen, auch gibt es die Möglichkeit sich sportlich zu betätigen. „In Gefängnissen gibt es strenge Richtlinien, wie Hofgangszeiten. Außerdem müssen die Häftlinge arbeiten“, erläutert Sicherheitschef Amann. „Bei uns darf der Patient nicht zur Arbeit gezwungen werden. Es handelt sich hier wirklich um einen Reha Maßnahme im Rahmen des Strafvollzugs“, erläutert Sicherheitschef Amann.

„Der Patient ist krank“
Der Aschaffenburger Anwalt Christoph Jahrsdörfer hat schon einige solcher Fälle betreut. „Es kommt vor, dass die Personen bis zu der Tat völlig unauffällig gelebt haben“, berichtet Jahrsdörfer. „Es kann jeden treffen.“ Er erinnert sich an einen Fall vor ein paar Jahren: damals tötete eine Frau ihr einjähriges Kind mit einem Messer und versuchte danach sich selbst umzubringen. „Es ist wie ein schizophrener Schub, die Personen können sich oft auch nicht mehr an die Tat erinnern.“ Diese Schübe könne man allerdings medikamentös behandeln. „Der Patient hier ist krank, das muss man ganz klar so angeben“, stellt Amann klar. „Er kann für das was er getan hat nicht zur Rechenschaft gezogen werden.“ Die Dauer eines Aufenthaltes könne man pauschal nicht sagen. Eine lebenslange Freiheitsstrafe entspricht 15 Jahren. „In der Forensik wird man immer wieder begutachtet“, erklärt Jahrsdörfer. „Erst wenn zwei unabhängig voneinander erstellte Gutachten bescheinigen, dass die Person keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstellt, kommt man frei.“ Man könne also schon nach wenigen Jahren freikommen, es ist aber auch durchaus möglich, dass die Insassen die psychiatrische Einrichtung nie mehr verlassen. „Ich kenne Menschen, die sitzen seit mehr als 30 Jahren in Lohr.“ Ungewiss wie viele weitere noch folgen.