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Familie Mbaeri auf der Flucht

27.02.2022, 06:00 Uhr in News
KW01 Haibach Familie6

BAYER. UNTERMAIN/UKRAINE (jm). Der gesamte Untermain hält den Atem an. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine spitzt sich immer weiter zu und zum ersten Mal seit fast 80 Jahren erleben wir einen Angriffskrieg in Europa. Und mittendrin: die Familie Mbaeri aus Haibach. Nach ihrer Abschiebung nach Kiew Anfang Dezember befand sich die fünfköpfige Familie im Auge des Tornados, von dem noch keiner weiß, welches Ausmaß er annehmen wird. PrimaSonntag hat mit Betroffenen aus unserer Region über die aktuelle Situation gesprochen.

„Hier ist überall Panik. Wir suchen aktuell einen Schutzbunker!“ Das schrieb Jastin Mbaeri am Mittwochmorgen an Haibachs Bürgermeister Andreas Zenglein. Es ist jetzt die harte Realität des gerade einmal 13-Jährigen. Noch vor vier Monaten gingen er und seine Geschwister in Haibach zur Schule. Nachmittags spielten sie am liebsten Fußball, waren beliebt, hatten viele Freunde. Jetzt bangt seine ganze Familie in der Ukraine um ihr Leben! Nach der ersten Nachricht kamen stundenlang keine Nachrichten mehr von Jastin, auch die deutsche Schule, auf die die Geschwister in Zukunft gehen sollten, war nicht mehr erreichbar. Es dauerte knapp einen Tag, bis sich die Familie wieder meldete: „Bitte helfen Sie uns, wir haben Angst! Wir versuchen jetzt irgendwie zur Grenze von Polen zu kommen!“ In der Nacht ist es unfassbar laut, links und rechts schlagen die Raketen ein, Szenen, von denen wir alle hofften, sie nie wieder erleben zu müssen. Die Haibacher Familie ist mittendrin - mittendrin im Krieg.

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„Keinen Zentimeter aufgeben“

Es sind diese Schicksale und Erfahrungen, die gerade den Großteil der Welt fassungslos machen – auch andere Menschen aus unserer Region sind selbst vor Ort oder haben noch Verwandtschaft in der Ukraine. Bohdan R. wohnte einige Jahre lang am Untermain. Mittlerweile lebt er wieder in seinem Heimatland. 2014 und 2015 war er als Soldat selbst in Donezk und hatte gegen pro-russische Truppen gekämpft. „Das war sicher die schlimmste Zeit, die ich jemals durchgemacht habe“, berichtet der Ukrainer. „So viel Leid, so viel Armut und so viele Verletzte!“ Seiner Meinung nach ist Putin ein „Tyrann“ und die bisherigen Sanktionen ein „Witz“. Es brauche Waffen und Feuerkraft aus dem Westen. Er sei nicht bereit, sein Land einem „Diktator zu überlassen“, schreibt er. „Wenn Putin die Ukraine will, wird er es am Ende vielleicht irgendwie schaffen“, befürchtet Bohdan. „Aber wir werden keinen Zentimeter aufgeben!“ Auch Larissa Zinovyeva ist von den Entwicklungen stark betroffen. Sie lebt schon seit einigen Jahren am Untermain, hat aber Familie sowohl in der Ukraine, als auch in Russland. „Das tut uns allen weh“, erzählt uns die Kasachin von ihren russischen Verwandten. „Niemand will Krieg haben. Eigentlich gehören wir doch alle zusammen!“ Auf der anderen Seite sähe es genauso aus. „Die Ukrainer sind nicht lebensmüde, sie wissen, dass Russland eine viel zu starke Armee hat. Sie haben null Chance!“

Marcel Storch

Blick aus der Ferne

Es ist kaum vorstellbar, unter welcher Angst und Angespanntheit die Angehörigen, die aus der Ferne zusehen müssen, leiden. Der ehemalige PrimaSonntag-Reporter Marcel Storch hat vergangenes Jahr seine ukrainische Frau in ihrer Heimat geheiratet. Ihn verbinden viele Familienmitglieder, Freunde und Erinnerungen mit dem Kriegsort. Ein guter Freund von ihm lebt in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine mit nur 40 Kilometern Entfernung nach Russland. „Dort sitzen die Leute in den U-Bahnstationen, um sich vor Luftangriffen zu schützen“, berichtet Storch. „Überall sind Explosionen!“ Die Großeltern seiner Frau leben im Süden. Auch über ihrem Haus flogen russische Kampfjets. „Sie sind gestern noch einmal einkaufen gefahren, um eine Weile nicht aus dem Haus zu müssen.“ Allerdings sind die Regale fast leer gefegt und die Preise haben sich teilweise verdoppelt. An Flucht ist für viele nicht mehr zu denken. Ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht mehr verlassen. Sie müssen bleiben, um für ihr Land zu kämpfen. Der Aschaffenburger Grünen-Bundestagsabgeordneter Niklas Wagener sitzt im Bundes-Verteidigungsausschuss. Ihn haben die aktuellen Entwicklungen sehr bewegt. Alle Fraktionen über alle Parteien hinweg haben ihre Solidarität mit der Ukraine demonstriert. „Wir müssen jetzt geschlossen reagieren und ein Sanktionspaket auf den Weg bringen, welches Putin empfindlich trifft“, fordert Wagener. „Der Druck muss gesteigert werden, diesen Krieg sofort zu beenden, denn er ist klar völkerrechtswidrig!“

Der Heimat ganz nah

Am gestrigen Samstag dann der Hoffnungsschimmer: Die Familie fand tatsächlich einen Bus, der sie an die polnische Grenze bringt. Allerdings wurden nur Frauen und Kinder mitgenommen – Vater Chika musste die lange Fußreise von 20 Kilometern antreten. Doch auch das meisterte die Familie und es kam sogar noch besser: sie fanden eine Mitfahrgelegenheit, die die fünf nach Hof in Bayern bringt! Dort soll die Familie unter anderem von Andreas Zenglein und dem Verein „Gutherzig“ abgeholt werden. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses verweilt die Familie noch an der polnischen Grenze. Allerdings ist es nicht auszuschließen, dass schon im Laufe des Sonntags die Mbaeris wieder in Haibach ankommen. Es wäre das Ende einer unglaublichen Odyssee und Leidenszeit, aber auch ein kleiner Lichtblick in dunklen Zeiten.

PrimaSonntag-Leser in Sorge:

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Caroline Werner aus Aschaffenburg

„Ich fühle mich nicht sicher. Es ist eine realistische Bedrohung. Man denkt immer, es ist alles so weit weg. Ich bemühe mich, mich gut zu informieren, auch nicht nur bei einem Medium."

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Dagmar Moutschka aus Aschaffenburg

„Ich bin zu Zeiten vom Kalten Krieg aufgewachsen, das war aber trotzdem alles weit weg. Und jetzt habe ich das Gefühl, es ist sehr, sehr nah. Das macht mir schon Angst."

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Lieselotte Freistadt aus Aschaffenburg

„Hoffentlich kommt das nicht zu uns. Ich habe noch keinen Krieg mitgemacht, vielleicht habe ich auch deswegen doppelt Angst.“

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Christa Burtches aus Aschaffenburg

„Ich habe Angst! Wenn wir nicht aufpassen, dann halte ich es nicht für unwahrscheinlich, dass auch bei uns etwas passiert.“

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Fritz Wied aus Aschaffenburg

„Die Preise, die Flüchtlinge und die anderen Kriegsfolgen, da habe ich schon Angst davor. Ich hatte gehofft, alle bleiben vernünftig, aber offensichtlich nicht.“

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Jörg Teidel aus Aschaffenburg

„Mir geht es ganz schlecht damit. Ich habe auch das Gefühl, dass alle Sanktionen gegenüber Russland eher uns betreffen werden. Meiner Meinung nach hat der Westen zu sehr nach Osten expandiert, dadurch haben wir das mit provoziert.“

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Martin Emge aus Mainaschaff

„Es ist traurig und tragisch! Und auch für unsere Gaslieferanten könnte es schwierig werden, aber das direkt bei uns auch etwas passieren wird, davon gehe ich nicht aus.“