• Frequenzen: 100,4 & 99,4 & 90,8
  • Tel 06021 – 38 83 0
  • Kontakt

On Air

Jetzt anhören

"Ich habe nur noch geschrien"

25.09.2022, 06:11 Uhr in News
KW38 Demenz 2

ASCHAFFENBURG (mz). Ganz langsam schleicht sie sich an und verändert Stück für Stück das eigene und das Leben der Angehörigen. Demenz ist eine besonders perfide Krankheit. Vergesslichkeit, Orientierungslosigkeit, Hilfslosigkeit. Nach der Diagnose Demenz ist oftmals nichts mehr wie es vorher war. Eine aktuelle Krankenkassen-Studie zeigt: Der Anteil der Demenz-Kranken zwischen 2011 und 2021 ist um 54 Prozent gestiegen. Frauen erkranken deutlich häufiger daran. Zur bayernweiten Woche der Demenz sprechen wir mit einer Expertin und einer Frau, deren Mann seit acht Jahren mit der Diagnose lebt.

„Es belastet mein Leben kolossal“, schildert Renate Grasser aus Aschaffenburg. Die 73-jährige Rentnerin kennt ihren Mann seit 50 Jahren, seit 45 Jahren sind sie verheiratet. Doch seit vor acht Jahren sich immer mehr Vergesslichkeiten in das Leben ihres Mannes schlichen, ist für das Ehepaar nichts mehr, wie es vorher war. „Mein Mann wollte erst gar nichts davon wissen, doch irgendwann sind wir zum Arzt gegangen. Nach vielen Untersuchungen stand die Diagnose Demenz.“ Ein Schock für den heute 80-Jährigen. Doch es kommt noch schlimmer. Nach einer Untersuchung in Würzburg stellte sich heraus, dass er an einer Frontemporalen Demenz handelt. „Das ist eine der schlimmsten Formen. Es geht rasend schnell voran und es gibt keinerlei Therapiemöglichkeiten“, sagt Renate Grasser.

Alle drei Wochen
verlernt er etwas andere

„Er hat sein Auto vor der Wohnung geparkt. Wenn wir ein paar Minuten später dann in die Tiefgarage gingen, dachte er, sein Auto wäre geklaut worden.“ Die Krankheit belastet den Alltag des Ehepaares immer mehr. Scheinbar selbstverständliche Dinge - von heute auf morgen werden sie zu einer unüberwindbaren Hürde. „Mein Mann kann kaum noch reden. Er sagt eigentlich nur noch Ja und Nein. Und selbst darauf kann man sich nicht verlassen.“ Die Herausforderung Demenz wird täglich größer, auch für die Ehefrau. Sie muss sich immer mehr und intensiver um ihren Mann kümmern. „Es ist so, dass er alle drei bis vier Wochen etwas anderes verlernt. Vor ein paar Wochen konnte er sich noch die Schuhe zubinden, das geht jetzt auch nicht mehr. Der Mann, den ich liebe, wird wieder zum Kind.“

Eine lebensveränderte
Diagnose

Eine enorme Belastung für den Patienten selbst, aber natürlich auch für die Angehörigen. Das weiß auch Friederike Platzek. Sie ist erste Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft in Aschaffenburg und steht regelmäßig mit Angehörigen in Kontakt. „Man muss klar sagen: Das Leben mit einem Demenzkranken ist anstrengend. Es ist eine lebensveränderte Diagnose.“ Um diese Menschen bestmöglich zu unterstützen, sind Friederike Platzek und ihr Team da. „Für Angehörige empfehle ich erstmal, sich Wissen über das Krankheitsbild anzueignen. Dann sollte sich die Familie zusammensetzen - ohne den Demenzkranken.“ Doch Verlauf und Länge der Krankheit zwingen viele Angehörige in die Knie und bringt sie an die Belastungsgrenze. Platzek empfiehlt, sich schon früh nach Betreuungsmöglichkeiten umzusehen, auch wenn der Gedanke an Pflege für viele unangenehm ist. „Betreuungsgruppen, Tagespflege und ambulante Pflegedienste früh kontaktieren. Man denkt immer, dass es noch geht, aber es geht nicht. Wenn sich Angehörige keine Hilfe suchen, macht es sie selbst krank.“

Die Kräfte sind
am Ende

Vor dieser schwierigen Entscheidung stand auch Renate Grasser. „Als ich ihn das erste Mal in eine Betreuungseinrichtung gebracht habe, dachte ich nur: du schiebst ihn ab.“ Jahrelang hatte sie sich um ihren Mann zuhause gekümmert, doch ihre Kräfte waren am Ende. „ Ich war an einem Punkt, wo ich nur noch geschrien habe. Aber das ist dann auch ungerecht. Er hat es nicht gewollt, er hat es sich nicht ausgesucht.“ Mittlerweile ist er dreimal pro Woche in einer Betreuungseinrichtung. So hat Grasser Zeit mal durchzuatmen. Zeit für sich und ihre Freundinnen. Und Zeit zum Nachdenken. „Ich glaube, der größte Fehler war, dass er damals von heute auf morgen in Altersteilzeit gewechselt ist. So plötzlich keine Verantwortung mehr zu haben, das war ein Fehler.“

Einfach mal loben

Körperliche Aktivitäten, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Auch für Friederike Platzek ein ganz zentraler Bestandteil im alltäglichen Umgang mit Demenzerkrankten. „Der Alltag sollte auf jeden Fall strukturiert bleiben. Man sollte ruhig den Mut haben, auch mal ins Restaurant oder ins Kino zu gehen“ Und ganz wichtig: empathisch bleiben! „Einfach mal ein Lob aussprechen, für die Dinge, die er noch kann.“ Auch das macht Renate Grasser. Und auch wenn der Alltag immer beschwerlicher wird, ihre Liebe kann die Krankheit nicht zerstören.

Kontakt zur Alzheimer Gesellschaft Aschaffenburger: Friederike Platzek (Keplerstraße 23) 63741 Aschaffenburg

Mail: [email protected] Telefon: 06021 7713177

Was ist eigentlich Demenz?
Die Krankheit beginnt meist unmerklich für die Außenstehenden. Ein an einer Demenz Erkrankter kann auf den ersten Blick unauffällig wirken. Bittet man ihn aber, etwas Bestimmtes zu erledigen oder auf gezielte Fragen eine Antwort zu geben, weicht er aus oder er kann feindselig und "aggressiv" werden.

Viele Erkrankte stellen selbst als erste fest, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist. Sie bemerken eine zunehmende Vergesslichkeit und eine Minderung der Fähigkeit, Neues zu lernen. Die alltäglichen Routineaufgaben stellen für sie ein Problem dar; oft können sie gar nicht mehr erledigt werden. Die Fähigkeit, Gedankenketten zu bilden, nimmt ab.

Häufig fragen die Kranken viel, weil sie immer unsicherer werden. Sie bringen Zeit und Ort durcheinander, sie verlieren zunehmend die Orientierung über ihr Zuhause, über Tageszeiten und über die Jahreszeit. Die Inhalte von Gelesenem oder von Fernsehsendungen werden nicht mehr verstanden, die ehemaligen Interessen verengen sich, das soziale Leben wird mehr und mehr eingeschränkt.

Es treten Sprachstörungen auf. Der Kranke findet im Gespräch keine passenden Wörter mehr, und er verwendet falsche Bezeichnungen für vertraute Gegenstände.

Im späten Stadium der Krankheit produziert der Patient fast ausschließlich sinnlose Äußerungen oder Silbenketten. Einige Menschen verstummen ganz. Auch der körperliche Zustand verschlechtert sich im Laufe der Erkrankung.

So sind schließlich die Betroffenen vollständig auf fremde Hilfe angewiesen. Die genannten psychischen und körperlichen Veränderungen der Erkrankten stellen eine hohe Belastung für die Angehörigen dar.