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„Ihr solltet euch schämen!“

05.02.2023, 06:00 Uhr in News
KW05 Gefluechtete 10

KLINGENBERG-RÖLLFELD (mg). Die Notunterkunft in der alten Schule in Röllfeld sorgt für Aufruhr im Klingenberger Ortsteil. Eigentlich hatte man mit Flüchtlingen aus der Ukraine gerechnet, nun weilen 30 afghanische Männer dort - 30 weitere sollen folgen. Den Röllfeldern scheint das nicht zu gefallen, im Netz reagierten die Anwohner mit teilweise sehr extremen Kommentaren…

Von „Armes Deutschland“ ist im Internet die Rede oder vom „Warten, bis die ersten Messer fliegen“ - den Röllfeldern passt es nicht, dass die Afghanen in der Notunterkunft sind. Doch wieso eigentlich? Die Geflüchteten aus Afghanistan sind seit Montag in der Unterkunft, konnten bisher also kaum etwas Verwerfliches anstellen - trotzdem haben die Röllfelder Angst. In der Facebookgruppe „Wir sind Klingenberg am Main“ äußern sich die Menschen auf unschöne Art und Weise. Die Vorurteile gegenüber den Gästen sind groß. Auch vor Ort in Röllfeld ist die Stimmung angespannt, die Einwohner fühlen sich belogen, es war immer nur die Rede von ukrainischen Familien. „Damals hieß es, dass die Schule für ukrainische Asylbewerber zur Verfügung gestellt werden soll“, so Bürgermeister Ralf Reichwein über die Gespräche mit dem Landratsamt und der Regierung. Erst vor kurzem habe man erfahren, dass es sich um afghanische Männer handeln würde. Landrat Jens-Marco Scherf hat dafür eine Erklärung: „Wir hatten im ersten Halbjahr 2022 viele Menschen aus der Ukraine, 1.500 haben wir im Kreis Miltenberg aufgenommen. Im zweiten Halbjahr kamen nun eben vermehrt Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan und dem nordafrikanischen Raum.“ 100 Millionen Vertriebene gibt es derzeit auf der Welt. Die Zahl der Geflüchteten ist im letzten Jahr in Europa und somit auch in Deutschland stark angestiegen. Laut einer Radio Primavera-Recherche gab es neben den 1.500 im Kreis Miltenberg weitere 2.600 im Kreis Aschaffenburg. Auch in diesem Jahr könnten wieder so viele Flüchtlinge kommen wie 2022. „Für die Regierung von Unterfranken und das Landratsamt Miltenberg ist es aktuell sehr schwierig, ausreichend Gemeinschaftsunterkünfte zu finden“, so Wolfgang Härtel von der Flüchtlings- und Integrationsberatung des Caritasverbandes Miltenberg.

Vorurteile überschlagen sich

Neben den Aussagen im Internet löste auch ein Bild auf der Klingenberger Homepage Irritation aus. Das ausgewählte Symbolbild zur veröffentlichten Pressemitteilung auf der Klingenberger Homepage wirft sehr viele Fragen auf. Aus dem Rathaus heißt es, dass das Foto aus dem Internet genommen und als passend angesehen wurde. Viel mit den afghanischen Männern hat es allerdings nicht zu tun - es bedient eher eine ganze Reihe von Klischees.

„Den Menschen eine Chance geben“

Die Asylbewerber werden dort bleiben, bis es Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft gibt oder sie eine positive Entscheidung im Asylverfahren erhalten und ausziehen dürfen. Man geht von einer Verweildauer von vier bis sechs Wochen aus. Die Bedenken der Röllfelder können die Politiker teilweise verstehen, doch die Aussagen in den Sozialen Medien sorgen trotzdem für Bauchschmerzen. „Man liest von einem afghanischen Flüchtling der straffällig geworden ist und schließt gleich auf alle. Wenn alle Flüchtlinge mit einem Messer in der Tasche rumlaufen würden, könnte man das verstehen. Das ist aber nicht die Realität. Man muss den Menschen einfach mal eine Chance geben.“ An der Bushaltestelle vor der alten Schule steigen mittlerweile kaum noch Schüler aus. „Die Bushaltestelle wird umgelegt, weil viele Eltern besorgt sind um ihre Kinder.“ Eine weitere Problematik stellt laut Reichwein der kommende Faschingszug dar, der nämlich genau an der Schule endet: „Da rechnen wir doch damit, dass es zu Problemen kommen kann. Nicht nur von einer Seite, sondern von beiden.“ Man wollte die Ankunft der Männer bis nach Fastnacht verschieben. Daraufhin gab es ein Treffen im Landratsamt, doch Landrat Scherf seien die Hände gebunden. Reichwein bat um ein Gespräch mit dem Regierungspräsidenten von Unterfranken, um ihm die Situation klar zu machen. „Er hat auf ein Telefonat mit mir verzichtet und hat über den Landrat ausrichten lassen, dass er sich für die Unterstützung der Stadt Klingenberg bedanke.“ Auch an den Landrat sind einige Röllfelder herangetreten. Er ist sich sicher, dass man nach ein paar Tagen sehen wird, dass es auch dort klappen wird. „Grundsätzlich haben wir überall Geflüchtete im Landkreis Miltenberg untergebracht und es hat funktioniert.“

Kein erhöhtes Risiko

Bei der Sicherheitsbegehung Anfang der Woche sprach die Polizei von keinem erhöhten Risiko. Ein Sicherheitsdienst wird 24/7 vor Ort sein, bei Veranstaltungen wird aufgestockt. Allerdings muss man laut dem Bürgermeister die Bevölkerung beruhigen: „Es geht eher um eine Einlasskontrolle, dass da alles geregelt abläuft und nicht, dass die Messerstechereien in der Unterkunft aufhören.“ Der Vertrag zur Nutzung der Schule läuft noch bis Ende des Jahres. Bis dahin müssen es die Röllfelder mit den Geflüchteten „aushalten“. Der Bürgermeister kündigte an, dass man mit den Asylbewerbern arbeiten wird, ihnen die Kultur und Verhaltensregeln erklärt. Alle Seiten hoffen auf einen guten Ausgang. Dazu gehört auch, dass die Klingenberger sich nicht über Vorurteile ihre Meinung bilden, sondern jedem Menschen eine Chance geben.

Klingenberg