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Man sieht den Baum vor lauter Rodung nicht!

19.03.2023, 06:00 Uhr in News
KW11 Baumchaos 13

BAYER. UNTERMAIN (hw/kh/mg/mz). Rodungen und Baumfällungen gehören mittlerweile schon zum Alltag. Dabei liefern uns Bäume eine wichtige Lebensgrundlage - viele von uns verbinden Kindheitserinnerungen mit ihnen. Und trotzdem kommt es immer wieder aus den unterschiedlichsten Gründen zu Abholzung. Das stößt natürlich auf viel Unbehagen in der Bevölkerung. Mancherorts gehen die Bürger sogar gerichtlich vor. PrimaSonntag hat ein paar Fälle der letzten Zeit aus der Region zusammengefasst und mit einem Naturschutz-Experten gesprochen.

Die wohl skurrilste Baum-Geschichte ereignete sich in Kahl. Es ging um schon abgestorbene Bäume. Sogenanntes Totholz grünt zwar nicht mehr, ist aber lebensnotwendig für den restlichen Wald. Totholz steht unter Naturschutz und Gemeinden, die Totholz erhalten, bekommen Geld dafür, dass die Bäume stehenbleiben. In Kahl wurde das bezuschusste Totholz von zwölf Fichten gerodet, obwohl sie gekennzeichnet waren. Der Förster wusste laut eigenen Aussagen von nichts. Er hatte erst vor kurzem den Job übernommen. Gegen die augenscheinlich bewusste Abholzung ging der BUND Naturschutz (BN) vor. „Das bezuschusste Geld wurde schon von der Gemeinde zurückgezahlt und es wurden auch neue Bäume gepflanzt“ so Lukas Nitzl, Abteilungsleiter des Forstamts Aschaffenburg. Die Gemeinde musste somit 1.400 Euro zurückzahlen. Glücklich sind die Naturschützer allerdings nicht. „Dem Wald bringt es nichts, dass das Geld zurückgezahlt wurde. Die Bäume sind nicht mehr da und bieten Insekten keine Heimat mehr. Vögel können dort auch nicht mehr nisten“, sagt Dr. Bernd Kempf, der Vorsitzende der Naturfreunde im Spessart. Des Weiteren sind nicht nur die bezuschussten Bäume abgeholzt worden, sondern alle toten Bäume im Kahler Wald.


Sicherheit geht vor

Ein Baum, der lange auf politischer Ebene für Aufruhr sorgte, war die 70 Jahre alte Kastanie auf dem Kleinostheimer Kita-Gelände. Die Gemeinde entschied im November, dass der Baum gefällt werden müsste, da aufgrund der herabfallenden stacheligen Kastanien die Sicherheit der Kinder nicht mehr gewährleistet werden konnte und die Kastanie stark von Miniermotten befallen war. Die Bürger machten ihren Unmut laut, demonstrierten mit Schildern und sammelten Unterschriften. Letztendlich entschied sich der Gemeinderat für die Sicherheit der Kinder und gegen den symbolischen Wert, den viele mit dem Baum verbunden hatten. Die Vorschläge der Gegenseite, ein Netz unter dem Baum aufzuhängen, wurde aus Kostengründen abgelehnt. Eine günstigere Variante wurde nicht in Betracht gezogen. Für die Gemeinde war es keine leichte Entscheidung. Zum Ausgleich sollen Bäume gepflanzt werden, die die gleiche CO²-Aufnahme haben wie die Kastanie, doch bis die so groß sind wie der alte Baum, werden einige Generationen vergangen sein. Ein weiterer großer schöner Baum, den es nun erwischt hat, stand in Keilberg. Direkt neben dem Spielplatz gelegen, stellte der eigentlich noch gesunde Baum ein Sicherheitsrisiko dar. Bürgermeister Christoph Ruppert äußerte sich in den sozialen Medien: „Wie bereits geschrieben wurde, kam es immer wieder zu herunterfallenden Ästen, der Baum galt nicht mehr als verkehrssicher. Im Hinblick auf den Spielplatz und das Pfädchen bestand daher Handlungsbedarf.“


Fällungen gerechtfertigt?

Eine weitere Gemeinde, die sich in den sozialen Medien zu den Baumfällungen äußerte, ist Stockstadt. Wie Bürgermeister Rafael Herbik auf der Facebook-Seite des Marktes verlauten ließ, gelten für Bäume auf öffentlichem Grund andere Regeln als für Bäume im Wald. „Fällt z.B. ein Ast von einem unserer Bäume auf ein geparktes Auto, haftet die Marktgemeinde dafür, es sei denn, sie kann nachweisen, dass sie ihre Bäume regelmäßig kontrolliert und pflegt.“ Die Baumsachverständigen kümmern sich um knapp 1.500 Bäume. Gerade im Winter mussten einige gefällt werden, weil der Bestand mit den Folgen des heißen Sommers zu kämpfen hatte. „Die Bäume werden dann durch auf unsere Bedingungen angepasste Neuanpflanzungen ersetzt. Aber natürlich ist ein Jungbaum erstmal nicht so ortsbildprägend wie ein gestandener Altbaum“, zeigt der Bürgermeister sich verständnisvoll. Auch in Elsenfeld war die Aufruhr groß: Für eine Mensa und ein Betreuungsgebäude mussten am Schulcampus im Mühlweg zehn Platanen weichen. Die 70 Jahre alten Bäume sollten erst durch einen Bürgerentscheid gerettet werden - 15 Stimmen fehlten zur Erhaltung. Im Gemeinderat entschied man, dass die Platanen gefällt werden, zum Unverständnis der Organisatoren des Bürgerentscheids. Auch hier versuchte Bürgermeister Kai Hohmann die Gemüter mit Neubepflanzungen an ähnlicher Stelle zu beruhigen. „Die jungen Bäume sind zwar nicht so wuchtig wie die alten, aber in ein paar Jahren werden die genauso groß und wuchtig sein wie die Abgeholzten“, sagte er zu PrimaSonntag. In einer PrimaSonntag-Umfrage machten einige Leser ihrem Unmut über die Fällung der Platanen Luft. „Das ist unmöglich, die kann man doch nicht fällen“, beschwert sich Dieter Kuhn aus Elsenfeld. „Überall leidet die Natur und jetzt schneiden die die Platanen noch weg. Auch die Elsenfelderin Brigitte Karge hat kein Verständnis für das Platanen-Ende „Das war klar, dass die gefällt werden. Da war nicht mal die Tinte trocken, da hat die Fällung schon begonnen. Sauerei!“


„Tierarten werden oft vergessen“

„Ich kann die Aufregung verstehen, wenn solche Bäume gefällt werden. Schwierig wird es dann auch, wenn sie noch gesund sind. Dann wird’s im Hinblick auf Anpassung an die Klimakrise kontraproduktiv.“ Stefan Jodl ist Regionalreferent für Unterfranken beim BN. Gerade die großkronigen Bäume seien wichtig für das Klima in Städten und Gemeinden. Aber auch der Naturschützer gesteht, dass die Sicherheit vorgeht: „Wenn ein Baum kaputt ist, droht umzufallen oder etwa, dass große Äste abbrechen, muss natürlich was unternommen werden. Aber manchmal entscheidet man hier auch ein wenig vorschnell.“ Die Kontrollen und das Management der Bäume sieht er als wichtig an, erinnert hierbei allerdings daran, dass Untersuchungen durch Fachpersonal erfolgen sollten und das Artenschutzrecht überprüft werden sollte. „Gerade die alten großen Bäume beherbergen recht häufig Tierarten, die artenschutzrechtlich geschützt sind.“ Bei manchen Bäumen ist die Fällung wohl unvermeidbar, so groß und schön er auch sei. Bei anderen könnte eine sorgfältigere Herangehensweise, aber auch dazu führen, dass einige dieser Bäume stehen bleiben könnten - und damit unsere Natur dem Bild unserer Gemeinden in Zukunft weiterhin gut tun.

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Ein Streitthema: Die Fällung der Kleinostheimer Kastanie
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In Elsenfeld mussten zehn Platanen weichen