ASCHAFFENBURG (ahl). Allein bei dem Gedanken daran, dass jemand fähig sein könnte, eine 100-jährige, wehrlose Dame zu ersticken und ihr damit die letzten Lebensmomente zu rauben, lässt einen den kalten Schauer über den Rücken laufen. Maria Dessauer wurde Opfer einer solchen unfassbaren Tat. Am kommenden Samstag, am 22. Januar, ist es ein Jahr her, dass die Übersetzerin tot in ihrer Wohnung in Frankfurt-Sachsenhausen lag. Einer ihrer Pfleger hatte sie leblos aufgefunden, die Staatsanwaltschaft geht von Mord aus. Die alte Dame soll erstickt worden sein! Angeklagt ist keine Geringere als eine ihrer Pflegerin selbst. Mord aus Habgier, so lautet die Anklage. Aktuell befindet sich die 41-jährige Beschuldigte in U-Haft. Die Geschichte von Maria Dessauer ist nicht nur wegen ihres hohen Alters oder ihres tragischen Todes so fesselnd. Sie ist zudem die letzte Nachfahrin und Tochter des bekannten Aschaffenburger Physikers Friedrich Dessauer.

Ursprünglich war ihre Familie jüdischen Glaubens, trat aber zum Katholizismus über. Im Zuge des Zweiten Weltkrieges wanderte sie nach Istanbul aus, die beiden älteren Brüder blieben in Deutschland. „Sie und Christoph [ihr jüngerer Bruder] besuchten zunächst die deutsche Schule in Istanbul. Da ihr Vater glaubte, dass für Maria die bessere religiöse Ausbildung am Collège Sainte-Croix in Fribourg in der Schweiz sei, brachte er sie dort unter. […] Maria studierte an der dortigen Universität Philologie und Musikwissenschaft. 1949 wurde sie Schweizer Bürgerin“, so Monika Ebert in ihrer Publikation „Die Dessauers“, herausgegeben vom Aschaffenburger Vorsitzenden des Gesichts- und Kunstvereins Dr. Heinrich Fußbahn. Schon bevor Maria Dessauer zurück nach Deutschland kam, schrieb sie Übersetzungen, für die sie im Laufe ihres Lebens auch bekannt geworden war. Die Flaubert-Übersetzungen gelten als die besten der deutschen Literaturgeschichte. Auch als Schriftstellerin hat sich Maria Zeit ihres Lebens versucht - der Erfolg blieb hier aber aus. Ihre letzten Jahre verbrachte sie zurückgezogen in ihrer Wohnung am Frankfurter Schaumainkai. Beigesetzt wurde Maria auf dem Aschaffenburger Altstadtfriedhof im Grab ihres bekannten Vaters Friedrich und ihres Bruders Ottmar Dessauer.

Der gebürtige Aschaffenburger Friedrich Dessauer studierte ab 1899 Elektrotechnik und Physik an der Uni München und an der TH Darmstadt. „Friedrich, in der Familie Fritz genannt, war schon als kleiner Junge weniger an Schule als an Experimenten interessiert. […] Er wollte Elektrophysiker werden“, so Ebert in „Die Dessauers“. 1917 schloss er seine Studien in Biophysik ab. Während seiner Forschungen zur Anwendung der Röntgenstrahlen wurde sein Gesicht so geschädigt, dass er sich mehreren plastischen Operationen unterziehen musste. 1909 heiratete Dessauer Elisabeth „Else“ Elshorst. Maria war eines von vier Kindern. Der Physiker lehrte weltweit, kam aber 1953 zurück nach Frankfurt, wo er 1963 dann verstarb. „Friedrich Dessauer hing sehr an seiner Heimat. […] Seine Frau Else war stets an seiner Seite“. In Dessauers Gedenken ist heute in Aschaffenburg ein Gymnasium nach ihm benannt.

Im Mordfall Maria Dessauer wurde Ende November 2021 Anklage zur erhoben. Bisher hat das Gericht weder über eine Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden, noch Termine zur für die Hauptverhandlung bekannt gegeben.