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Uns fehlen die Lehrer!

11.09.2022, 06:30 Uhr in News
Lehrer

BAYER. UNTERMAIN (mg). Schon seit Beginn der Sommerferien sucht die unterfränkische Regierung händeringend nach Lehrkräften. An vielen Grund- und Mittelschulen arbeiten mittlerweile pensionierte Lehrer oder Studenten, die sich auf dem Weg zum Abschluss befinden, um den Mangel an Fachkräften auszugleichen. Am Dienstag geht der Unterricht wieder los und an vielen Schulen herrschen Fragzeichen. In PrimaSonntag beschreiben Verantwortliche und zukünftige Lehrer, was unsere Kinder im neuen Schuljahr erwarten wird.

„Es ist das erste Mal, dass ich in den sieben Jahren, seitdem ich die Schulleitung innehabe, eine exorbitante Zahl an Mitteln zur Verfügung gestellt bekommen habe.“ Ansgar Stich ist Schulleiter am Johannes-Butzbach-Gymnasium (JBG) in Miltenberg. Er ist dem Kultusministerium dankbar, denn er hat Mittel für 120 Stunden bekommen - in normalen Jahren sind es um die 50 Stunden. Die Schulen erhalten sozusagen keine Lehrkräfte, sondern Geld vom Kultusministerium, um welche zu akquirieren. Doch das gestaltet sich schwierig, denn der Bedarf ist größer als das verfügbare Personal. Das JBG startet dieses Jahr mit 16 neuen Lehrkräften. „Normalerweise haben wir so sechs bis sieben, dieses Jahr sind eben Menschen dabei, die nur einige Stunden in der Woche aushelfen.“

Fünf Vollzeitkräfte fehlen an dem Gymnasium, die nun durch Unterstützungskräfte ersetzt werden. Darunter: eine Lehrerin aus Baden-Württemberg, die sich in Elternzeit befindet, ein ehemaliger Schüler, der sich noch studiert, eine angehende Lehrerin, die gerade ihr Staatsexamen absolviert und einen Kanadier, der vorher in Rumänien unterrichtet hat. Außerdem gibt es an der Schule eine Ukrainer-Klasse, die im nächsten Jahr auch in Mathe und Englisch unterrichtet werden soll. „Wir haben eine Geflüchtete aus der Ukraine, die den Kindern im kommenden Jahr Mathe beibringt und eine ukrainische Hausfrau mit Dolmetschererfahrung unterrichtet die Klasse in Deutsch.“ Laut den Schulämtern Aschaffenburg und Miltenberg hängen die Auswirkungen des Fachkräftemangels auf den Unterricht von vielen Faktoren ab - unter anderem die Entwicklung der Corona-Lage. In dem Zusammenhang gilt, dass schwangere Lehrkräfte weiterhin nicht in Präsenz unterrichten dürfen.

KW36 Lehrermangel Kern
Horst Kern

Es droht „der große Knall“
Auch Horst Kern, BLLV Kreisvorsitzender und Rektor an Kardinal Döpfner Schule in Großwallstadt, sieht hier die Schulen vor einer prekären Situation: „Aktuell sind alle Stunden abgedeckt, aber wehe, es wird eine Lehrkraft krank - oder schwanger, dann dürfen sie ja auch nicht mehr kommen.“ Auch die Größe der Klassen wird sich verändern. „Die Gruppen werden deutlich wachsen, um überhaupt vor jeder Klasse eine Lehrkraft haben zu können.“ Vor allem im Bereich der Grund- und Mittelschulen wird aktuell massiv Fachpersonal gesucht, weswegen das bayerische Kultusministerium Sondermaßnahmen eingeführt hat. Somit können sich nun auch ausgebildete Realschul- und Gymnasiallehrer sowie Studienreferendare mit erfolgreichem zweitem Staatsexamen und pensionierte Lehrkräfte dort bewerben. Doch in unserer Region gestaltet sich das schwieriger als gedacht. Im Kreis Miltenberg fehlen rund 500 qualifizierte Lehrerstunden, also 25 Lehrkräfte, die an Grund- und Mittelschulen fehlen und dann durch nicht fertig ausgebildete Kräfte ersetzt werden. „Hier auf dem Land ist es schwerer, Lehrkräfte zu finden als in Großstädten“, erklärt Stich. Auch Kern sieht hier ein Problem: „Pensionierte Lehrkräfte findet man nicht viele, die haben oft keine Lust mehr, dürfen und können auch nicht mehr so viel arbeiten.“

Das Hauptproblem sieht der BLLV-Vorsitzende aber woanders: „Genau in unserer Region ist es dann so, dass viele Lehrkräfte, die hier verwurzelt sind, nach Hessen oder Baden-Württemberg gehen, bevor sie nach Oberbayern versetzt werden können.“ Viele in Bayern können es sich nicht aussuchen, wo sie hingeschickt werden, weshalb sie sich in anderen Bundesländern umschauen, um in der Nähe bleiben zu können. „Und das ist schon lange ein Problem, wurde aber immer ignoriert" - und jetzt droht unserer Region der große Knall. Zwei die dagegen wirken wollen, sind Leonie aus Waldaschaff und Lena aus Feldkahl. Die 22-Jährigen studieren Lehramt an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Leonie studiert Grundschullehramt und befindet sich im neunten Semester, im kommenden Jahr geht’s ans erste Staatsexamen.

Für Grundschullehrerinnen sind die Aussichten gut, eine Stelle hier zu bekommen, weshalb Sie sich noch keine großen Gedanken über eine mögliche Versetzung gemacht hat: „Am Anfang habe ich überhaupt nicht drüber nachgedacht, aber mittlerweile ist es halt echt eine Option nach Hessen zu gehen - obwohl es mein Traum wäre nach dem Studium auch hier in der Gegend zu arbeiten.“ In Hessen hat man die Möglichkeit, sich direkt auf Schulen zu bewerben, was die Bestimmung des Berufsorts erleichtert. Lena studiert Realschullehramt im siebten Semester - als Grundschullehrerin sieht sie sich nicht. „Pädagogik ist in meinem Studium nicht der größte Faktor, generell finde ich, dass man mehr Didaktik und mehr Lehrerfahrungen ins Studium einbringen sollte, dass man besser für den Beruf vorbereitet ist.

KW36 Lehrermangel Studis
Lena aus Feldkahl und Leonie aus Waldaschaff

Zeit für Veränderung
Ansgar Stich erwartet, dass der Zyklus so weitergeht: „Der Lehrerberuf wird aufgrund des Mangels gerade richtig attraktiv dargestellt und dann reden wir in fünf Jahren wieder von zu vielen Lehrern.“ Kern ist anderer Meinung, er würde den Lehrerberuf von Grund auf umkrempeln: „Wir haben ein Loch, weil die Ausbildung mindestens sechs, sieben Jahre dauert und wir für Mittelschule nur sehr wenig Lehramtsstudenten haben. Man müsste generell die Lehrerausbildung verändern. Dass sich jemand nicht von Anfang an für ein Schulzweig entscheidet, sondern ein gemeinsames Grundstudium und dann könnte man kanalisieren, wo man Arbeitskräfte braucht.“

Die beiden angehenden Lehrerinnen finden einen „gemeinsamen Start“ ins Studium und eine spätere Spezialisierung als eine gute Option: „Gerade weil man im Hauptfach viele Überschneiden bei den Lehrämtern hat ist das eine gute Möglichkeit, allerdings bei Grundschullehramt ist der Pädagogik-Aspekt deutlich wichtiger, weshalb ich es gut finde, dass dort ein größerer Schwerpunkt drauf gelegt wird.“ Die aktuelle Situation ist für alle Beteiligten angespannt und sicherlich langfristig auch nicht förderlich für den eigentlichen Sinn der Schule: die Entwicklung unserer Kinder.

KW36 Lehrermangel Stich
Ansgar Stich