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"Uns laufen die Arbeiter weg!"

07.08.2022, 06:30 Uhr in News
Stang

BAYER. UNTERMAIN (jm).Es scheint kein Ende zu nehmen - die steigende Inflationsrate macht uns allen immer mehr zu schaffen. Eine bevorstehende Energiekrise sorgt auch für wenig Entspannung der Lage. Und auch der Fachkräftemangel breitet sich immer weiter auf alle Branchen aus. Aber: Wie giftig ist die Kombination aus Personalmangel und Inflation für unsere Volkswirtschaft wirklich? PrimaSonntag hat mit Betroffenen und Experten darüber gesprochen.

Schon vor der Corona-Pandemie begleitete uns der Fachkräftemangel in der Pflege. Verbessert hat sich die Situation nicht - ganz im Gegenteil. Das zeigt auch der verzweifelte Hilferuf des Novita Seniorenzentrum in Sulzbach. „Wenn Sie eventuelle Vorkenntnisse in der Pflege mitbringen, stellen wir Sie direkt ein“, heißt es in einem Aufruf. Auch die Probleme am Frankfurter Flughafen waren in den letzten Wochen sehr präsent: In der Abfertigung und Sicherheitskontrolle fehlt es an Personal. Grund ist, dass Fraport während der Corona-Pandemie rund 4.000 Stellen abgebaut hat. Viele Angestellte haben sich außerdem nach anderen Jobs umgesehen. Krankheitsausfälle bei der Westfrankenbahn machen gerade vielen Fahrgästen zu schaffen. „Der DB ist es in den letzten Jahren immer gelungen, ihre Personalbedarfe auch in engen Arbeitsmärkten zu decken“, erklärt Dr. Luise Gunga, DB-Pressestelle München. „Allerdings ist auch die DB zurzeit von erhöhten Krankenständen betroffen, was kurzfristig regional zu Personalengpässen führen kann.“

Gastronomie

Stangs Küche in Amorbach

Stang

„Ein Großteil der Branche hat mit Personalmangel zu kämpfen“, erklärt Ralf Stang, Koch in Amorbach. „Auch wir suchen Service-Kräfte auf 450 Euro Basis, die uns unterstützen.“ Grund für den Mangel sei aus seiner Sicht ganz klar die Corona-Pandemie. „Von den Lockdowns war die Gastronomie natürlich sehr stark betroffen“, berichtet Stang. „Viele haben sich einfach etwas Sicheres gesucht.“ Das hat zur Folge, dass die Betreiber vieles nicht mehr bewältigen können. „Obwohl noch Platz wäre, muss der ein oder andere Gast dann auch mal weggeschickt werden.“ Füllen könnten die Lücke theoretisch Nachwuchskräfte. Hier sieht der Restaurant-Betreiber allerdings schwarz. „Es gibt ja überall diese Probleme, von daher ist die Gastronomie dann doch eher für viele das Letzte, was in Frage kommt“, fürchtet der Koch. „Man braucht schon sehr viel Enthusiasmus, um in der Gastro zu lernen.“

KW31 Fachkraefte 1

Handwerkskammer für Unterfranken

KW31 Fachkraefte 2

„Fachkräftemangel gibt es nahezu in allen Gewerken“, berichtet Ludwig Paul, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Unterfranken. „Besonders ausgeprägt ist er beispielsweise im Lebensmittelhandwerk oder auch im Bauhandwerk.“ Die Besetzung freier Stellen stellt Betriebsinhaber vor große Herausforderungen. Nach Schätzungen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks fehlen aktuell bundesweit rund 250.000 Fachkräfte im Handwerk. Auch Paul sieht im fehlenden Nachwuchs ein Hauptproblem. „Hauptgrund für fehlende Nachwuchskräfte ist der demografische Wandel, durch welchen es grundsätzlich weniger junge Menschen gibt, die die Schulen verlassen und als potentielle Auszubildende zur Verfügung stehen.“ Auch fehlende Wertschätzung für die berufliche Bildung stelle ein Problem dar, denn noch immer ziehen viele Eltern ein Studium für ihre Kinder aufgrund vermeintlich besserer Karrierechancen einer dualen Ausbildung vor. Für das aktuelle Ausbildungsjahr sind noch rund 1.600 freie Ausbildungsstellen gelistet. „Die Fachkräftesicherung im Handwerk ist das zentrale Thema der Zukunft“, erklärt Paul. „Für die Umsetzung der Klimaziele braucht es beruflich ausgebildete Fachkräfte, die im Handwerk als Gesellen arbeiten und als Meister Verantwortung übernehmen.“

Bäckerei

Bäckerei Café Konditorei Kress in Großostheim

Kress

„Momentan geht’s, aber man merkt schon, dass es immer schwieriger wird, gute Leute zu finden“, berichtet Michael Kress, Leiter der Bäckerei Kress in Großostheim. „Man hört ja auch von Kollegen, dass eigentlich alle suchen.“ Egal, ob Bäcker, Verkäufer oder Azubis - es fehlt an allen Ecken und Enden. Gerade in den letzten zwei Jahren hat das Problem nochmal ordentlich angezogen. „Ich glaube, dass viele aus den geburtenstarken Jahrgänge Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre Corona genutzt haben, um früher in Rente zu gehen“, vermutet der Bäckermeister. „Und es kommt halt immer weniger nach.“ Viele Bäcker müssen teilweise ihre Filialen zulassen, weil es an Verkäufern geht – dabei wäre Ware vorhanden. „Im Gegensatz zu vielen anderen Läden haben wir sehr wenig Personalwechsel“. Viele andere Bäcker blicken dagegen in eine dunkle Zukunft.

KW31 Fachkraefte 6

Müllabfuhr

KW31 Fachkraefte 5

Im Kreis Miltenberg kommt es in letzter Zeit leider zu Unregelmäßigkeiten bei der Müllabfuhr. „Nach wie vor kommt es auch weiterhin aufgrund von krankheitsbedingten Personalausfällen zu Verzögerungen“, erklärt das Landratsamt Miltenberg auf Nachfrage. Betroffen ist die planmäßige Entleerung der Mülltonnen und der gelben Wertstoffsäcke. „Die kommunale Abfallwirtschaft und das Entsorgungsunternehmen suchen nach Lösungsmöglichkeiten. Die nicht entleerten Mülltonnen werden zeitnah nachgefahren“, so Susanne Seidel, Sprecherin des Landratsamt. Daher sollen die entsprechenden Abfallbehältnisse auch bereitgestellt bleiben, bis die Abfuhr erfolgt ist.

Agentur für Arbeit in Aschaffenburg

KW31 Fachkraefte 3

„Der Fachkräftemangel hat inzwischen am Untermain nahezu alle Branchen - wenn auch noch in unterschiedlicher Betroffenheit - erreicht“, erklärt Albert Wolfgang, Pressesprecher der Agentur für Arbeit. Inzwischen müsse man jedoch feststellen, dass sich der Mangel nicht nur auf Fachkräfte, sondern auf Arbeitskräfte insgesamt bezieht. Von den knapp 4.000 offenen Stellen, die im Juli in der Agentur Aschaffenburg gemeldet waren, bezog sich die Mehrzahl auf die Berufsgruppen Verkehr und Logistik (498 Vakanzen) Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe (376), Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufe (309), Metallbearbeitung (322), Verkauf (239) und das Führen von Fahrzeugen (205). Gründe hierfür seien einerseits der demografische Wandel, aber auch die Corona-Pandemie. „Betriebe haben eine gute Auftragslage, können diese aber mangels Personal nicht oder nur zeitverzögert abarbeiten“, weiß Albert. „Zeitweise Geschäftsschließungen oder auch verkürzte Wochenarbeitszeiten sollen dazu beitragen, zumindest das bestehende Personal im Betrieb zu halten.“

Fazit:

KW31 Fachkraefte 4

„Der Fachkräftemangel hat grundsätzlich negative Auswirkungen auf die Volkswirtschaft“, erklärt Jürgen Schäfer, Vorstandvorsitzender der Sparkasse Aschaffenburg-Alzenau. Viele Unternehmen seien wegen fehlendem Personal gezwungen, Aufträge abzulehnen bzw. müssen aus diesem Grund ihr Angebot reduzieren. „Dieses sinkende Angebot bei gleichbleibender oder gar steigender Nachfrage führt zu steigenden Preisen. Die ohnehin außergewöhnlich hohe Inflation wird durch die Situation am Arbeitsmarkt zusätzlich befeuert.“