„Das Niveau ist drastisch gesunken!“

BAYER. UNTERMAIN (mg/tm). Am Dienstag sehen wir wieder viele aufgeregte Familien im PrimaSonntag-Land. Die Erst- und Fünftklässler werden in Ihre neuen Schulen eingeschult. Auch bei den Lehrern steigt die Spannung. Jedes Jahr stellt sich die Frage: Wie gut sind die Schulen am Bayerischen Untermain auf den kommenden Ansturm vorbereitet? Wie sieht es aus zwischen eingespielten Abläufen, Lehrermangel und unerwarteten Defiziten? Wir haben mit den Schulen in unserer Region gesprochen.
Immer mehr Kindern fehlt es an motorischen Fähigkeiten. „Viele können nicht mehr richtig schneiden, kneten oder auf die Toilette gehen“, berichtet eine Grundschulleiterin aus dem Spessart, die namentlich nicht genannt werden möchte. Auch das Seepferdchen, wie es früher üblich war, haben viele Kinder nicht mehr. „Das Schwimmen lernen sie überwiegend bei uns, sobald sie an die Schule kommen.“ Nichtsdestotrotz läuft der Schulstart unproblematisch. „Das Team ist sehr gut eingespielt, wir haben eine enge Zusammenarbeit und viel Erfahrung aus den vorangegangenen Jahren“, sagt uns die Grundschulleitung. Neben den organisatorischen Fähigkeiten verschiebt sich der Schwerpunkt jedoch. „Wir haben mehr erzieherische Arbeit zu leisten als früher.“ Etwa dreiviertel der Schüler besucht die Ganztagsschule. Dort versucht man die Defizite durch das qualifizierte Personal aufzufangen, jedoch „wenn Unterstützung im häuslichen Umfeld fehlt, schaffen wir es nicht, das auszugleichen.“ Eines steht fest: Die Haltung „Das machen die in der Schule“ ist eine zusätzliche Belastung für die Lehrkräfte. Dennoch freut sich die Schulleitung auf das neue Jahr: „Wie sind bereit, die Klassenzimmer sind schon lange eingerichtet.“
Lehrermangel und sinkendes Niveau
Ähnliches erklärt uns Peter Lutz, Schulleiter der Brentano Mittelschule in Aschaffenburg. „Wir merken die rückgängige Entwicklung an allem.“ Besonders beim Lesen sei seit drei bis vier Jahren ein starker Abstieg zu bemerken, so Lutz. Aber auch bei praktischen Sachen hinken die frisch gebackenen Fünftklässler hinterher: „Beispielsweise die Nutzung von Scheren - viele können das einfach nicht mehr.“ Alltägliches, wie respektvoller Umgang oder auch Erziehung, fehlen. Erziehertätigkeiten müssen zu Beginn der weiterführenden Schule noch nachgeholt werden. „Wir können nicht alles auffangen, was zuhause fehlt.“ Denn neben den Defiziten kämpft die Schule an anderen Ecken mit weiteren Problemen: „Es fehlen uns Lehrkräfte. Wir können nicht alle Lehrstunden abdecken.“ Die Schule setzt auf pensionierte und nicht vollwertig ausgebildete Lehrkräfte. Auch Quereinsteiger sind im Personal. Die Schwierigkeiten sind auch bei den Schulabgängern zu sehen: „Wir sehen an den Abschlussprüfungen, dass das Niveau der Schulabgänger drastisch gesunken ist. Die Anforderungen in der Prüfung sind geringer - der Durchschnitt aber schlechter als noch vor zehn Jahren.“ Die Schule schafft es nicht mehr, die Jugendlichen auf das eigentlich vorhergesehene Niveau zu bringen.
Anderes Bild an Miltenberger Gymnasium
Aus dem Johannes-Butzbach-Gymnasium in Miltenberg erklingen andere Töne. „Die Kinder sind gut wie immer vorbereitet, da wird in den Grundschulen unseres Einzugsgebietes trotz aller Herausforderungen hervorragende Arbeit geleistet“, sagt Schulleiter Ansgar Stich. Erzieherarbeiten gibt es hier auch. Die Aufgaben kommen „aber sehr selten aus den Familien selbst, sondern zumeist aus der Politik.“ Auch in Bezug zur Kompetenz der Kinder hat der Schuldirektor eine andere Sicht: „Entgegen dem kontinuierlichen Gejammer, alles sei schlimmer als früher, kann ich nur sagen, dass das meiner Erfahrung nach nicht stimmt. Im Gegenteil: Wenn ich z.B. an das Niveau meines eigenen Englischunterrichts vor 40 Jahren denke, dann sind selbst schwächere Kinder heute um Welten besser, als ich selbst es als sehr guter Schüler war.“ Ein Grund für diese Einschätzung liegt für Stich auf der Hand: Die Schule schafft es, den gesamten Pflichtunterricht abzudecken – mit nur geringem Anteil an Quereinsteigern. Es ist Priorität, die Vorrückungsfächer stattfinden zu lassen - „auch unter zeitweiliger Anstrengung.“
Zwischen Routine und wachsendem Druck
Eines wird deutlich: Die Schulen am Bayerischen Untermain stemmen enorme Aufgaben. Ob fehlende Alltagskompetenzen bei den Jüngsten, Nachholbedarf in der Erziehung oder schlicht der Mangel an Lehrkräften - die Belastung ist riesig. Gleichzeitig zeigen die Beispiele, wie eingespielt die Teams sind, wie viel Erfahrung und Leidenschaft sie einbringen. Die Spanne zwischen den einzelnen Schulzweigen scheint allerdings immer größer zu werden. Unsere Schulen sind am Limit - und geben trotzdem alles, um unsere Kinder bestmöglich auf die Zukunft vorzubereiten.
Sieht seine Schüler gut vorbereitet: Ansgar Stich, Schulleiter des Johannes-Butzbach-Gymnasiums in Miltenberg