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Die Bedrohung wächst von Tag zu Tag

21.05.2023, 06:00 Uhr in PrimaSonntag
KW20 Bombe

BAYER. UNTERMAIN (mg). Seit Anfang des Jahres kam es im bayerisch-hessischen Grenzgebiet zu ganzen fünf Bombenfunden - gefühlt so viele wie noch nie. Zuletzt sorgte eine Fliegerbombe in Aschaffenburg dafür, dass rund 1.000 Menschen ihre Häuser verlassen mussten. Doch wieso kommt es denn ausgerechnet jetzt, rund 80 Jahre nach Kriegsende, so häufig zu diesen Funden? PrimaSonntag hat mit Experten gesprochen und mal nachgefragt, was denn noch so alles im Untergrund lauert…

„In Deutschland geht man davon aus, dass noch mehrere hunderttausend Tonnen Kampfmittel im Boden sind - vor allem eben Bomben.“ Dr. Daniel Jäger ist technischer Leiter bei der PD Bohr- und Sondiergesellschaft, die Bergungen von Kampfmitteln im süddeutschen Raum durchführt. Wenn eine Bombe gefunden wird, wird zuerst mal beurteilt, ob eine Gefahr besteht. „Manche Objekte sind handhabbar, also können einfach aus dem Boden rausgenommen werden.“ Das bekommt die Öffentlichkeit dann auch nur selten mit, anders bei den Fällen, bei denen gefährliche Kampfmittel im Boden gefunden werden. „Das Leben um die Baustelle wird dann eingestellt, das Areal abgesperrt und das Kampfmittel gesichert.“ Im Anschluss wird dann gemeinsam mit dem Kampfmittelräumdienst entschieden, wie man vorgeht. Bei der Entschärfung gibt’s keine allgemeine Lösung: „Manchmal ist es möglich, einfach den Zünder abzuschrauben - das ist aber die Ausnahme.“ Systeme wie Wasserschneidgeräte können aus der Distanz bedient werden, um die Bombe zu entschärfen. Die letzte Option, wenn der Zünder eben nicht entfernt werden kann, ist eine kontrollierte Sprengung der Bombe. „Grundsätzlich sind Kampfmittel unter der Erde gefährlich, weil sie durch die Jahre unter der Erde nicht stabiler werden. Das heißt, dass Sicherungsmaßnahmen zum Beispiel verrosten können und dadurch sehr erschütterungssensitiv sind“, so Jäger. Durch den natürlichen Alterungsprozess wird die Gefahr einer Detonation also immer größer: „Es gibt sogar die seltenen Fälle, dass es Spontandetonationen gibt - da muss es gar keinen Impuls geben, da explodiert eine Bombe oder eine Granate, ohne dass vorher irgendetwas passiert ist.“

Aschaffenburger Unglück sorgt für Wandel

Die 250-Kilo-Fliegerbombe, die bei Bauarbeiten Anfang Mai am Aschaffenburger Pompejanum gefunden wurde, war glücklicherweise schnell außer Gefecht gesetzt, die Entschärfung der Bombe dauerte rund 45 Minuten und gegen 21. 45 Uhr konnten die Menschen wieder zurück in ihre Häuser. „Aus meiner Erfahrung heraus wird bei Bauarbeiten mit Bodeneingriffen in bestimmten Stadtteilen Aschaffenburgs bei mindestens jeder zweiten Kampfmittel im Boden gefunden“, erklärt Dr. Markus Marquart, Archäologe der Museen der Stadt Aschaffenburg. Nachdem man jahrelang das Risiko eingegangen ist und einfach losgelegt hat, lässt man heutzutage den Boden bei Bauarbeiten vorher untersuchen. „Erst seit 15, 20 Jahren macht man eine systematische Kampfmittelsondierung vor Bauarbeiten, um Unfälle zu vermeiden“, erzählt Jäger. Mitverantwortlich dafür war ein tragischer Unfall in unserer Region: „Eigentlich war erst das Ereignis 2006, als eine Bombe an der A3 bei Aschaffenburg detoniert ist, ausschlaggebend dafür, dass die Thematik bei Behörden und Bauherren mehr präsent war.“ Der Knall erschütterte damals den ganzen Untermain. Ein Arbeiter starb bei der Explosion, er war mit seiner Asphaltfräse über den Blindgänger gefahren. Die Trümmerteile wurden bis zu 600 Meter weit in die Luft geschleudert. Ein weiterer Grund, dass sich in den letzten Jahren die Funde häufen, ist, dass es Industrie und Gewerbe in den letzten 20 Jahren wieder mehr in die Innenstädte gezogen - genau dorthin, wo 1945 die meisten Bomben gefallen sind. Eine flächendeckende Suche nach Blindgängern ist nicht möglich, die Areale müssen direkt überfahren werden, um den Boden zu untersuchen. Ein Ende ist hierbei nicht in Sicht, wie Dr. Jäger berichtet: „Es wird noch eine Aufgabe von mehreren Jahrzehnten sein, Deutschland kampfmittelfrei zu bekommen.“

KW20 Bombe1
Rund ums Pompejanum galt Anfang Mai Ausnahmezustand.
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Daniel Jäger von der der PD Bohr- und Sondiergesellschaft