Überflutete Straßen und vollgelaufene Keller in Haibach
HAIBACH (ld/ps). Es beginnt mit einem Grollen in der Ferne, Gewitterwolken ziehen auf und es wird dunkel. Es beginnt zu regnen - erst ganz leicht, doch mit der Zeit immer mehr. Blitze schlagen ein, der Wind weht. Was für die meisten ein ganz normales Sommergewitter bedeutet, ist für viele Haibacher eine herannahende Katastrophe. Binnen Minuten verwandeln sich Straßen zu Flüssen. Wassermassen drücken gegen Fenster, Keller laufen voll. Persönliches und Wertgegenstände - alles auf einen Schlag vernichtet. Und das Unwetter Anfang August war kein Einzelfall! Aber wo liegt eigentlich das Problem?
Etliche Male musste die Feuerwehr Anfang August wegen eines Gewitters im Großraum Aschaffenburg ausrücken. 120 Einsätze verzeichnete die Feuerwehr insgesamt - 35 davon in Haibach wegen überfluteten Fahrbahnen, vollgelaufenen Kellern und einem umgestürzten Baum. Und das passiert häufiger: Videos von 2020, 2018 und 2016 zeigen immer wieder die gleiche Situation: überschwemmte Straßen, Wasser das aus den Kanaldeckeln sprudelt, vollgelaufene Badezimmer, Keller und Garagen. Mittendrin Hauseigentümer, die verzweifelt gegen die eindringenden Wassermassen ankämpfen. Mit Wasserschiebern, Pumpen und Trocknern versuchen sie, der Lage Herr zu werden. Eine Anwohnerin berichtet: „Das letzte Mal, als das vor ein paar Wochen war, hat mein Sohn seinen Kumpel angerufen und gesagt ‚Wir saufen ab‘. Der hat eine Wasserpumpe gebracht, weil meine das nicht mehr geschafft hat.“
Kanäle überlastet
Wo Straßen zusammenlaufen, sind Häuser teils schon nach wenigen Minuten gefährdet. Brennpunkte sind unter anderem die Büschelbergstraße, Erlenstraße, Fischergasse und Rohrbachstraße. Das Problem sind die veralteten Kanäle, die für die Wassermassen bei den immer häufiger auftretenden Extremniederschlägen nicht geeignet sind. Denn sie sind viel zu eng. Das führt dazu, dass schon nach ein paar Minuten Wasser aus den Gullys schießt. Thomas Menke erzählt: „Das Problem ist, wenn der Kanal überläuft, ist meine Einfahrt wie ein Bachbett und das Wasser nimmt dann gezielt über das Grundstück von Herrn Krebs sämtlichen Rindenmulch und Erde mit und verteilt es in die Büchelbergstraße Richtung Schwalbengrube. Aber das Hauptproblem ist, dass ein Sturzbach Richtung Haibacher Schweiz runterrauscht, weil die Kanäle das nicht packen.“
„Wir haben 12 Sekunden“
Die Anwohner treffen, so gut es geht, Vorkehrungen - viele Haibacher schauen vorher auf das Regenradar, um für die Zeit ihrer Abwesenheit alles abzusichern. „Wenn Gewitterwolken aufziehen, kommen schon alle auf die Gasse und man fragt: ‚Braucht ihr Hilfe?‘“ Auch wenn es nur leicht regnet, sind sie alarmiert - so auch Daniela Laubmeister, als Mitte der Woche Starkregen gemeldet war: „Man hat Termine ausgemacht - die sagt man aus Angst ab, sitzt zuhause und schaut auf den Wetterbericht. Wir haben die Sandsäcke wieder aufgestellt, im Keller wieder alles nach oben gestellt - dass die Waschmaschinen und Trockner nicht kaputtgehen. Dann legt man noch Decken vor die Türe, stellt Trockenmaschine und Pumpe schon hin. Wenn der zweite Kanal überläuft, haben wir zwölf Sekunden, bis das Wasser hier herunterläuft.“ Auch entspannt irgendwo Urlaub machen, ist für Betroffene undenkbar: „Ich kann nicht zwei Wochen wegfahren, wenn ich die Wetterprognose nicht kenne. Aus Angst, dass der Keller eine Woche voll mit Wasser steht und alles marode wird“, sagt Peter Krebs. Nicht nur er sieht sich dadurch in seiner Lebensqualität eingeschränkt.
Abwasser im Haus
Die Folgen des Unwetters sieht man bei genauem Hinschauen auch an gewöhnlichen Tagen. „Das Wasser, das bei uns im Keller war, ist natürlich im Mauerwerk und bildet Schimmel und der ist nicht gerade gesund. Um den Schimmel zu entfernen, muss man mit scharfen Mitteln drangehen und die sind nicht gesund. Das zweite Problem ist, dass alles nass ist und getrocknet werden muss“, so Ulrich Pudenz. Hinzu kommen oft Diskussionen mit der Versicherung, wenn es um Schadenserstattung geht. Die verweist laut den Anwohnern auf die Gemeinde - die Gemeinde wiederum auf die Versicherung. Neben dem Schimmel ist allerdings schon das Wasser an sich gesundheitsgefährdend, denn zum Regenwasser mischen sich Fäkalien der Kanalisation und das verdreckt wiederum die Wohnräume.
„In den nächsten 10-15 Jahren…“
Was sich die Leute von der Gemeinde wünschen, ist, dass ihr Anliegen ernst genommen werden: „Es tut sich nichts, auch wenn es immer wieder auf die Agenda gesetzt wird“, beschwert sich Peter Krebs. Dabei sei die Thematik der Gemeinde schon seit Jahrzehnten bekannt. Bürgermeister Andreas Zenglein verweist darauf, dass in den letzten drei Jahren ein Fachbüro die Kanäle mit einer Kamera befahren und bewertet hat: „Daraus wird nun eine Prioritätenliste erstellt und in den nächsten 10 bis 15 Jahren abgearbeitet. Das ist ein realistischer Ansatz, wenn man alles derzeit Offene machen will.“ Bei Straßenneuausbauten sei in der Vergangenheit auch schon sehr viel gemacht worden, so der Bürgermeister: „Es macht allerdings keinen Sinn, an ‚Zwischenstücken‘ Verbesserungen vorzunehmen, nur um dort spontan für Abhilfe zu sorgen, fachlich muss man immer am tiefsten Punkt eines Systems beginnen und sich ‚nach oben‘ vorarbeiten. Das ist für manche Betroffenen nur schwer nachzuvollziehen, ist aber das einzig Richtige.“ Er schätzt, dass die Kosten für den Umbau im zweistelligen Millionenbereich liegen und daher die Gebühren für die Bürger steigen werden. Ein Ärgernis für Geschädigte ist das Gefühl, kein Gehör geschenkt zu bekommen. Am Telefon sei einem Anwohner ausgerichtet worden, dass der Bürgermeister keine Termine zur Hochwasserthematik mehr annehme. Das bestreitet er: „Ich habe in meinen fast 20 Jahren als Bürgermeister noch nie einen Termin verweigert. Es kommt allerdings schon einmal vor, dass ich aus nachvollziehbaren Gründen ein Telefonat oder einen Spontanbesuch im Rathaus nicht gleich annehmen kann.“ Bis der Kanal ausgebaut ist, hoffen Anwohner auf schnelle und unkomplizierte Hilfe, wie zum Beispiel Wasserpumpen im Ernstfall. Der Satz eines Haibachers fasst es zusammen: „Die Situation ist klar - es muss etwas getan werden!“