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„Eine Regel aus der Steinzeit!“

09.07.2023, 06:00 Uhr in PrimaSonntag
KW27 Pflege 1

GOLDBACH (jm).Zu krank für zuhause – zu jung fürs Pflegeheim. Die beiden Hösbacher Rudolf Pufe und Karin Fassler kümmern sich seit zehn Jahren um ihre schwer an Demenz erkrankte Schwester aus Goldbach. Jetzt braucht sie allerdings einen Platz im Seniorenheim. Das Problem: Sie ist noch unter 60.

Die tragische Geschichte nahm ungefähr vor zehn Jahren ihren Lauf. „Meine Schwester hatte damals einen Burnout und verlor ihren Job, der ihr sehr am Herzen lag“, erinnert sich Karin Fassler. Daraufhin bemerkte die Familie, wie die damals 48-Jährige langsam abbaute. In den Folgejahren ging sie regelmäßig zum Neurologen und Hausarzt, eine Demenz ließ sich zunächst nicht feststellen. Erst bei einem Aufenthalt vor eineinhalb Jahren in der Uniklinik Würzburg folgte die Schock-Diagnose. „Das Resultat war eine schnell fortschreitende Art der Demenz“, erklärt Fassler. Damals konnte sie zwar in Begleitung noch spazieren gehen, aber „ab da ging’s bergab“, berichtet Bruder Rudolf Pufe. Das Geschwisterpaar und ihr Ehemann kümmerten sich rührend um die Goldbacherin und waren jeden Tag zu Besuch. „Es folgte Inkontinenz und sie wurde aggressiver. Das ist typisch für Demenz“, erklärt Karin Fassler. Doch irgendwann ging es nicht mehr - ihre Schwester musste in die Psychiatrie nach Aschaffenburg. „Ihr Geist war weg“, so Pufe.

Heime ohne Blick
auf Einzelfall

Nach Meinung der Ärzte muss die jetzt erst 58-Jährige in ein Seniorenheim mit geschlossener Abteilung. „Da ging das Problem weiter“, so Karin Fassler. Die Familie klingelte alle Heime in der Umgebung durch. „Wir wollten sie in der Nähe behalten, weil wir uns weiterhin jeden Tag um sie kümmern werden“, erklärt Rudolf Pufe. „Allerdings mussten wir feststellen, dass viele Heime niemanden unter 60 Jahren nehmen.“ Eine wirkliche Begründung bekamen sie nicht. Die Geschwister wendeten sich an Aschaffenburgs Landrat Dr. Alexander Legler, der sich anschließend mit den betreffenden Pflegeheimen in Verbindung gesetzt hat. „Das Landratsamt wird die Angehörigen im Rahmen des Möglichen bei der Suche nach einem Pflegeplatz unterstützen“, erklärt Sven Simon, Sprecher Landratsamtes. „Es wurde nicht auf den Einzelfall geschaut, sie haben sich unsere Schwester nicht mal angesehen“, berichtet Karin Fassler. Aber gibt es diese Regelung ab 60 offiziell und woher kommt sie eigentlich? Auf mehrmalige Nachfragen beim Medizinischen Dienst Bayern haben wir bisher keine Antworten erhalten. Karin Fassler und Rudolf Pufe wollen auf diese Richtlinie aufmerksam machen. „Wir haben gemerkt, dass es viele Leute nicht wissen. Das ist eine Regel aus der Steinzeit. Gerade da es bei unserer Schwester nur um zwei Jahre geht.“ Sie kann mittlerweile nicht mehr selbstständig laufen und muss gefüttert werden. Eine richterliche Anordnung hat entschieden, dass die 58-Jährige deshalb in keine geschlossene Abteilung muss, sondern in ein normales Seniorenheim darf. „Das dürfte unsere Chancen erhöhen, einen Platz zu finden, bisher haben wir aber noch nichts. Wir wollen einfach, dass sie in einer schönen Umgebung ihre letzten Tage verbringt. Dass es sich ein bisschen nach Zuhause anfühlt.“