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Los hat entschieden: 17 Kinder müssen Kita verlassen

28.01.2024, 06:30 Uhr in PrimaSonntag
KW04 Kita

ASCHAFFENBURG-SCHWEINHEIM (jm). Dass der Fachkräftemangel auch am Untermain massive Auswirkungen hat, ist bei Leibe nichts Neues. Bei einer Schweinheimer Kita sorgt der Personalmangel jetzt allerdings für ein Chaos, bei dem es nur Verlierer gibt - vor allem sind das aber die Kinder. PrimaSonntag hat mit Betroffenen und Experten über die Situation gesprochen.

„Wir wurden dreist im Stich gelassen“, berichtet eine verzweifelte Mutter, die zum Schutze ihres Kindes anonym bleiben möchte. Ihr Sohn besucht den Kindergarten „Schwalbennest“ in Aschaffenburg-Schweinheim. „Wir alle wissen, dass in Deutschland ein großer Fachkräftemangel herrscht. Jetzt hat es uns auch hart hier in Aschaffenburg getroffen.“ Bereits Anfang des Jahres wurden die Eltern gebeten, ihre Kinder zu Hause zu betreuen oder etwas früher aus dem Betrieb abzuholen - ein Tribut, den die Personalnot forderte. Allerdings sollte es damit noch nicht genug sein. Am 16. Januar wurden die Eltern der Kita „Schwalbennest“ informiert, dass 17 Betreuungsplätze gestrichen werden müssen. „Die Auswahl der Kinder erfolgt als Losentscheid“, heißt es in der Mitteilung. Für die Mutter und viele weitere Eltern eine nicht nachvollziehbare Vorgehensweise. Nur einen Tag später bekam sie die nächste Mitteilung - diesmal mit der Hiobsbotschaft. „Bedauerlicherweise wurde Ihr Kind ausgelost, sodass wir nun beabsichtigen, eine Kündigung zum 2. Februar auszusprechen.“ Ein Schock für die Familie, die nun binnen zwei Wochen keinen Betreuungsplatz mehr für ihr Kind hat. „Ist so ein Weg wirklich gerecht? Familien so kurzfristig zu kündigen?“ In der Mitteilung heißt es weiter: Bitte haben Sie für die kurzen Fristen Verständnis, aber dem Elternbeirat, Träger und auch dem Team ist es sehr wichtig, dass dieser Prozess rasch und zügig bearbeitet wird. „Das bringt viele Familien in einen Notstand, welchen man sich nicht vorstellen möchte“, wütet die Mutter. „Was passiert nun? Viele von uns müssen den Job kündigen. Viele von uns müssen sich privat so organisieren? Nur wie lange wird diese Situation sich halten können? Wie lange wird eine Familie das schaffen?“ Fragen und Ängste, die die betroffenen Eltern jetzt umtreiben. „Wie stellt sich der Träger das nur vor? Solch einen Notstand kann man doch Wochen und Monate vorhersehen.“ Die betroffene Mutter wandte sich an die Agentur für Arbeit, um sich voraussichtlich arbeitslos zu melden. Was sie dort erfährt, macht sie nur noch fassungsloser. „Dadurch, dass man als Elternteil nicht frei verfügbar ist, da man sich um das Kind kümmern muss, hat man keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld eins.“

Losverfahren kam
aus Elternbeirat
Sebastian Deuser und seine Frau sind beide im Elternbeirat der Kita tätig. „Die Situation wurde akut, als zwei Schwangerschaften im Personal bekannt wurden“, so der Familienvater. „Dadurch konnte der Betreuungsschlüssel nicht mehr eingehalten werden.“ In einer Sitzung des Elternbeirats wurde versucht, Kriterien für die Kündigungen festzulegen. „Hier konnte man sich allerdings nicht einig werden. Schließlich kam der Los-Vorschlag aus dem Elternbeirat selbst. Träger und Leitung kamen diesem Wunsch nach.“ Insgesamt waren rund 50 Familien im Los-Topf, ausgenommen waren Kinder mit erhöhtem Betreuungsanspruch -Einzelschicksale, wie beispielsweise alleinerziehende Elternteile, wurden nicht beachtet. „Schließlich wurden auch von acht Elternbeiräten fünf ausgelost. Dadurch kam dann nochmal mehr Bewegung und Aufruhr in die Sache.“ Sebastian Deuser sieht ein, dass es bei der Vorgehensweise zu einigen Fehlern gekommen ist. „Jeder hat natürlich an erster Stelle das Wohl seines Kindes. Daher hätte der Elternbeirat in diese Entscheidung niemals mit einbezogen werden dürfen.“ Ihm ist wichtig zu betonen, dass das Personal keine Schuld trifft. „Der Fachkräftemangel macht allen zu schaffen. Man konnte einfach kein zusätzliches Personal finden.“ Weil die Kita einem privaten Träger unterliegt, liegt hier die Gewährleistung der Betreuungsgarantie übrigens bei der Stadt Aschaffenburg. Bernd Keßler ist Vorsitzender des Trägervereins. „Wir werden die Eltern immer wieder mit einbinden. Allerdings würden wir zukünftig eine solche Entscheidung mehrfach kritisch hinterfragen.“ Aktuell arbeite der Trägerverein mit Hochdruck daran, Lösungen für die betroffenen Familien zu finden und diese kurzfristig in externen und anderen Einrichtungen des Trägers unterzubringen, auch die Stadt unterstützt hier. Erste Verträge befinden sich schon im Abschlussverfahren. „Der Prozess nimmt einfach Zeit in Anspruch. In den kommenden Tagen wird es allerdings positive Nachrichten zu vermelden geben.“

„Erhöhte
Sorgfaltsplicht“
Mittlerweile hat sich auch die Stadt eingeschaltet. „Die Stadtverwaltung ist in dieser Angelegenheit vermittelnd tätig“, berichtet Oberbürgermeister Jürgen Herzing auf Nachfrage. „Wir sind uns sicher, dass wir gemeinsam Lösungen finden werden.“ Erste Ergebnisse gibt es schon: Die Kündigungen für die 17 Familien sind erstmal nicht ausgesprochen worden - allerdings wurde die Betreuung bis zum 31. März ausgesetzt. In diesem Zeitraum sollen Lösungen gefunden werden. Aus Sicht einiger Betroffener ist das aber keine große Hilfe. „Rein juristisch wurden wir nicht gekündigt“, erklärt ein anderer anonymer betroffener Vater. „Fakt ist aber, dass wir ab Februar unser Kind nicht mehr in die Kita bringen können. Ich kenne eine Mutter, die ihren Job verlieren wird.“ Konflikte habe es allerdings schon vorab gegeben. „Wir sind nicht die einzigen, die schon in der Vergangenheit aus unterschiedlichsten Gründen Probleme mit der Kitaleitung hatten.“ Das bestätigten uns mehrere Elternteile unabhängig voneinander. Zwischen diesem ganzen Wirrwarr stehen die Kinder. „Gerade in dieser störanfälligen Entwicklungsphase muss mit den Kleinkindern besonders behutsam umgegangen werden“, erklärt Psychologin Stephanie Wilke-Surauf. „Nicht umsonst vollzieht sich in der Regel der Abschied vom Kindergarten mittels eines Rituals. In der genannten Situation besteht meines Erachtens eine erhöhte Sorgfaltspflicht.“ Bleibt nur zu hoffen, dass alle Beteiligten zusammen Lösungen finden, damit die betroffenen Kinder unbeschadet die derzeitige Lage überstehen.