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Killt die Bürokratie unsere Wirtschaft?

02.06.2024, 06:00 Uhr in PrimaSonntag
Buerokratie

BAYER. UNTERMAIN (ps/mg). Bedrohliches Papierchaos, überforderte Angestellte und eine Flut an Gesetzen, die beachtet werden müssen: Das deutsche Lieferkettengesetz scheint für viele Firmen auf den ersten Blick der blanke Horror zu sein. Vergangene Woche wurden in Brüssel die Weichen für die europäische Version gestellt. PrimaSonntag hat mit zwei regionalen Wirtschafts-Experten und einem Unternehmer über die Auswirkungen gesprochen.

Das Ziel klingt toll: Mehr Nachhaltigkeit, mehr Transparenz und Wertschätzung der Menschenrechte. Das Lieferkettengesetz, das vom EU-Rat vergangene Woche angenommen wurde, soll die Wirtschaft besser machen. Aber was bedeutet der Gesetzesentwurf genau für unsere Unternehmen? Stufenweise werden Vorschriften eingeführt. Beginnend bei den ganz Großen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit. In fünf Jahren sind dann Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitern dran. Firmen müssen Risiken für Menschenrechte und Umwelt identifizieren, bewerten und Maßnahmen zur Minderung ergreifen. In einem jährlichen Bericht muss die Durchführung belegt werden. Für Großunternehmen sollte das zu bewerkstelligen sein - für kleine Unternehmen nicht. Doch die sind gar nicht betroffen, oder? Falsch! Carsten Reuter, Professor für Einkaufs- und Qualitätsmanagement an der TH Aschaffenburg: „Was wir beobachten können, ist, dass die großen Unternehmen, die von dem Gesetz unmittelbar betroffen sind, die verschiedensten Anforderungen entlang der Lieferkette weiterreichen.“ Kleine und mittlere Unternehmen (KMUs), die Zulieferer für größere Firmen sind, können also indirekt von den großen mitreingezogen werden. „Die vielen Nachweispflichten sind gerade für kleine und mittlere Firmen nur sehr schwer zu bewältigen. Um hinterherzukommen, müssten manche extra einen Juristen beauftragen“, sagt Andreas Freundt, Hauptgeschäftsführer der IHK Aschaffenburg.


Vom Freelancer bis zum Großunternehmen
In einer Umfrage der Handelskammer wurden zuletzt Unternehmer am Bayerischen Untermain zu den größten Hindernissen befragt. „Da war die Bürokratie weit vorne, also z.B. die vielen Berichtspflichten. Das eigentliche Ziel des Unternehmens kann dann nicht mehr so gut umgesetzt werden wegen den vielen bürokratischen Regeln. Fachkräftemangel und gestiegene Energiekosten kommen auch noch dazu.“ Und das kommt sogar bei den kleinsten Unternehmen an, wie Reuter erzählt: „Es läuft tatsächlich so weit, dass sogenannte Freelancer, also 1-Mann-Unternehmen, von größeren Kunden entsprechende Lieferketten-Fragebögen ausfüllen müssen.“ Der Blick in die Praxis zeige, dass jeder Unternehmer davon in Zukunft betroffen sein könnte. „Es ist sicherlich herausfordernd. Bürokratie macht die Unternehmer momentan an vielen Stellen recht mürbe“, so Reuter, „auf der anderen Seite sehen wir, dass Unternehmen, die schon länger nachhaltiger handeln und auch ihre Lieferkette nachhaltig gestalten, deutlich besser durch die Krisen gekommen sind.“ Grund sei die Wertschätzung der Lieferanten für die guten Arbeitsbedingungen.


Verknappung in Europa?
Auch Jonas Braun, einer der beiden Geschäftsführer von Kaffee Braun in Mainaschaff, muss sich auf einiges einstellen: „Die ganze Branche ist davon betroffen - auch wir.“ Grundsätzlich findet er die Idee hinter dem Gesetz gut. „Es bedeutet zum Beispiel, dass kein Kaffee in die EU kommt, der auf Flächen angepflanzt wurde, für die Wald gerodet wurde.“ Die große Problematik sei die lückenlose Nachvollziehbarkeit der Lieferkette. Gewisse Daten und Informationen seien nur sehr schwer zu bekommen. „Im Anbau haben wir das Problem, dass die die Geo-Daten zum Teil überhaupt nicht vorliegen. Die haben die nicht einfach so in der Schublade - genauso bei vielen anderen Informationen. Das ist mit großem Aufwand verbunden und kostet Zeit und Geld.“ Die Bedenken, dass sich Pflanzer und Landwirte für neue Kundschaft entscheiden, wächst. „Die sagen dann vielleicht auch: ‚Wenn uns das mit der EU hier zu kompliziert wird, dann exportieren wir unseren Kaffee halt in andere Länder. ‘ Wir haben stark wachsende Märkte, allen voran China. Da ist die Befürchtung, dass auf unserer Seite eine Verknappung stattfindet. Da müsste man dann wieder mit höheren Preisen rechnen“, erklärt Braun, dessen Bruder Oliver gerade in Afrika vor Ort ist. In Mainaschaff legt man schon länger Wert auf enge Beziehungen zu den Partnern. 80 Prozent des Gesamtbedarfs wird direkt vom Erzeuger gekauft, die Logistik regelt ein Importeur. Am Ende des Tages kann es jedes Unternehmen treffen, private Endverbraucher sollten erstmal nichts davon spüren - erstmal.