Mit ,,Kampfmusik" zur Bluttat

ASCHAFFENBURG (acm/jg). Es war ein Tag, der unzählige Menschen tief erschüttert hat – in Aschaffenburg, dem PrimaSonntag-Land und weit darüber hinaus. Eine Kita-Gruppe macht im Januar einen Ausflug in den Park Schöntal, als sie plötzlich von einem Mann mit Messer angegriffen wird. Ein zweijähriger Junge und ein 41-jähriger Familienvater sterben noch vor Ort – drei weitere Personen werden schwer verletzt. Der Messer-Mann flüchtet, ein mutiger Passant verfolgt ihn noch über Bahngleise. Kurz darauf wird Enamullah O. widerstandslos festgenommen – seit dieser Woche steht er vor Gericht.
Donnerstag, 8 Uhr morgens: Dutzende Journalisten und Kamerateams drängen sich vor dem Aschaffenburger Landgericht. Es geht nur langsam voran, jeder wird sorgfältig durchsucht und abgetastet, bevor er in das Gebäude kommen darf. Auch vor dem Gerichtssaal wird noch einmal kontrolliert – gründlicher, als am Flughafen. Auch im Saal selbst sind zahlreiche Polizisten anwesend. Als Enamullah O. mit Hand- und Fußfesseln hereingeführt wird, herrscht gespannte Stille. Während die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe gegen den 28-Jährigen verliest, wird es schnell emotional: Zuschauer weinen, einige müssen den Saal verlassen. Dass Enamullah tatsächlich psychisch krank sein könnte, wird schnell klar: Immer wieder schaut er abwesend in die Leere, gähnt oder lässt seinen Kopf minutenlang hängen. „Er ist ein sehr, sehr kranker Mensch“, stellt sein Verteidiger Jürgen Vongries direkt zu Beginn des Verfahrens klar.
Von Kriegsmusik und Soldaten
Laut Verteidigung hörte Enamullah O. immer wieder Stimmen, die ihm befahlen, etwas zu tun. An den Tattag selbst könne er sich kaum erinnern, sagt sein Anwalt. In seinem Kopf habe er sich „in einem Kriegsfilm“ befunden. Die Rede ist von amerikanischen Soldaten, die einen Taliban töteten – und von der Angst, selbst verfolgt zu werden. „Er hat sich in einem Wahn befunden“, so Vongries. Kurz vor seiner grausamen Bluttat suchte Enamullah auf YouTube „Musik, um in den Krieg zu ziehen“ und spielte sie laut im Schöntal-Park ab. Nur wenige Sekunden vor seinem Angriff hörte er „motivierende Kampfmusik“. Es steht außer Frage, dass Enamullah O. diese grausame Tat im Schöntalpark begangen hat – es geht nur noch darum, das „warum?“ zu klären, so Verteidiger Vongries. Eine klassische Strafe steht für den 28-Jährigen aber nicht im Raum, weil er laut Gutachten an einer paranoiden Schizophrenie leidet. Das Gericht will Ende Oktober stattdessen entscheiden, ob Enamullah O. dauerhaft in eine Psychiatrie kommt.
Zeuginnen kämpfen mit den Erinnerungen
Nicht nur Enamullah O. muss sich seinen Taten erneut stellen –
auch diejenigen, die damals alles mitansehen mussten, müssen diesen
schrecklichen Tattag noch einmal aufleben lassen. Die beiden
Erzieherinnen, die mit den fünf Kindern im Park waren, standen als
Zeugen vor Gericht – jeweils mit psychologischer Begleitung. Sie sagen
aus, sie haben den 28-Jährigen schon früh bemerkt, hätten aber zunächst
nicht geahnt, dass er ihnen etwas antun will. Beide mussten nach der Tat
in Traumatherapie und leiden unter einer posttraumatischen
Belastungsstörung. Auch eine Kinderärztin sagte aus, sie war im Januar
zufällig im Park und telefonierte gerade, als der Angriff passierte. Sie
versuchte, mit Rufen den Mann von weiteren Taten abzubringen, was aber
nichts brachte. Als er die Flucht ergriff, versuchte sie noch, den
kleinen Jungen zu reanimieren – vergeblich.