„Wenn ich mal nicht genug klaute, gab es Schläge“

MILTENBERG (ps).Fabio Ihlow hatte es selbst nicht leicht. Der gebürtige Berliner, der jetzt in Miltenberg lebt, wurde als Kind in krankheitsbedingter Abwesenheit seiner Muttervon Familienangehörigen gezwungen zu stehlen, anstatt zur Schule zu gehen. Wenn er mal nicht genug klaute, gab es Schläge. Perspektivlos und ohne soziale Prägung kam er auf die schiefe Bahn, landete schließlich im Gefängnis. Aber Fabio Ihlow hat geschafft, was viele nicht schaffen: Er hat seiner kriminellen Vergangenheit den Rücken gekehrt, bietet Kindern und Jugendlichen kostenlose Selbstverteidigung an und möchte ihnen vor allem eines geben: die Chance, den richtigen Weg einzuschlagen.
„Während andere in meinem Alter in der Schule waren, musste ich mit zwölf Jahren täglich in Kaufhäusern klauen und wenn der Wert der Waren zu gering war, wurde ich verprügelt“, erzählt Fabio Ihlow im Interview. Weil ihm der Bezug zur Schule völlig fehlte, machte er das einzige, was er zu diesem Zeitpunkt kannte: „Ich habe weitergemacht. Mit 15 hat es angefangen mit den Jugendstrafanstalten, 1999 habe ich die längste Freiheitsstrafe bekommen: vier Jahre JVA Plötzensee und JVA Moabit. Insgesamt habe ich fast sieben Jahre in verschiedenen Strafanstalten verbüßt“, beschreibt Ihlow das dunkle Kapitel seiner Vergangenheit. „Ich war auch in der organisierten Kriminalität aktiv. Verurteilt wurde ich unter anderem wegen schwerem Raub, Erpressung, Freiheitsberaubung, Nötigung und schwerer Körperverletzung.“ Aber für Fabio Ihlow kommt, während er im Gefängnis sitzt, der Schlüsselmoment: Ihm wird klar, dass er nicht so wie viele andere Insassen enden will.
Schlussstrich gezogen
„2003, ein Jahr bevor ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, habe ich in der Großküche der JVA Plötzensee gearbeitet. Dort waren die ganzen Leute, die zum Teil zwanzig Jahre gesessen haben. Die kamen mir so verbraucht vor. So wollte ich nicht enden“, erzählt er. Fuß zu fassen, fiel ihm nach seiner Entlassung im Jahr 2004 zunächst schwer. „Ich hatte nichts. Durch das Gefängnis war ich weiter verroht und perspektivlos.“ Aber der Wahl-Miltenberger schaffte es nach einiger Zeit, sich von seinem alten Leben endgültig zu verabschieden. „Ich habe das Training gebraucht, immer viel Kampfsport gemacht. 2016 bin ich dann nach Miltenberg gezogen und habe erst mit paar Leuten in einem Keller trainiert.“ Aus dem Keller wurde ein Saal, aus dem Saal zwei angemietete Turnhallen. Den gemeinnützigen Verein „Zentrum für Selbstverteidigung und Gesundheit“ gründete er 2017, kurz darauf folgte der Umzug in ein Gebäude mit 200 Quadratmetern. Etwa 180 Kinder aus zum Teil schwierigen Verhältnissen werden im Verein trainiert, sie üben sich unter anderem im Kickboxen, Krav Maga, Ving Tsun und Selbstverteidigung. Das soll ihnen Selbstvertrauen schenken und ihnen ermöglichen, für sich einzustehen.
Ein besseres Leben
Menel Tajouri ist ehrenamtliche Kidstrainerin im Zentrum für Selbstverteidigung und Gesundheit. Sie weiß, was es bedeutet, sich aus schlimmen Situationen herauszukämpfen, denn sie war viele Jahre gefangen in einer Ehe, in der sie unterdrückt und kleingehalten wurde. „Aus purer Verzweiflung und Todesangst bin ich im Laufe der Ehejahre immer mehr kaputtgegangen. Ich hatte so gut wie keine Rechte und war nur noch ein Schatten meiner selbst. Man fühlt sich wie in einem Hamsterrad. Allein hätte ich es niemals geschafft, aus der Situation auszubrechen. Die Menschen vom Verein, bei dem ich jetzt arbeite, haben mir geholfen.“ Es liegt ihr am Herzen, das jetzt zurückzugeben. Die Selbstverteidigung habe auch ihrem eigenen Sohn sehr geholfen, weil auch er unter der toxischen Ehe gelitten habe, in sich gekehrt war, bis er mit dem Kampfsport in Fabio Ihlows Verein begann. „Die Kinder und Jugendlichen gewinnen durch die Trainings von Fabio an innerer Stärke und gehen hier ganz anders wieder raus.“
„Wir finden einen Weg“
„Für mich ist ganz wichtig, zu sagen, dass nicht jeder das Glück hatte, gesund geprägt worden zu sein. Ich möchte anderen die Chance geben, die ich nie hatte. Wenn ich ein, zwei Jugendlichen helfen kann, dann hat man schon was Gutes getan in diesem Scherbenhaufen“, sagt Fabio Ihlow. „Wenn einem nie richtig beigebracht wurde, was richtig und falsch ist, wie soll er denn in der Gesellschaft funktionieren? Das ist, als müssten Sie mit einem Bein zum Marathon antreten.“ Für seinen Verein steht bald eine große Veränderung an: Im September soll der Umzug in ein Gebäude mit fast viermal so viel Platz erfolgen. 700 Quadratmeter mit Schulungs- und Schlafräumen sowie einer Küche. Fabio Ihlow möchte den Kindern und Jugendlichen zukünftig die Möglichkeit bieten, gesund und vor allem erschwinglich zu essen, außerdem sollen Frauen aus toxischen Beziehungen vor Ort übergangsweise übernachten können, wenn es brennt. „Meine Message an die, die es schwer haben, ist: Meldet euch bei mir und wir finden einen Weg.“