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„Wir steuern auf eine Katastrophe zu!“

14.01.2024, 06:30 Uhr in PrimaSonntag
Jutta Iczak
Seit vier Jahren sucht Jutta Iczak eine rollstuhlgerechte Wohnung. Foto: Meder

ASCHAFFENBURG-OBERNAU (jm.). Dass Wohnraum knapp bemessen ist, ist kein Geheimnis - noch schwieriger gestaltet sich die Situation allerdings für behinderte Menschen und Rollstuhlfahrer. PrimaSonntag hat eine Obernauerin besucht, die die Problematik am eigenen Leib spürt.

Jutta Iczak sitzt seit 2020 aufgrund einer Autoimmunerkrankung im Rollstuhl. „Ich wohne hier in Obernau in einer sehr kleinen, verwinkelten Wohnung. Das stellt mich im Alltag oft vor große Herausforderungen.“ Schnell begibt sie sich auf Wohnungssuche. „Mir war auch klar, dass das auf eine Sozialwohnung hinauslaufen könnte.“ Die erste Anfrage ging im April 2020 schriftlich bei der Stadtbau Aschaffenburg ein. In den folgenden Monaten hatte Jutta immer wieder mit verschiedenen Ansprechpartner dort Kontakt aufgenommen. „Erst ging meine Anfrage dort verloren. Da habe ich mir aber auch noch nichts dabei gedacht und es einfach nochmal eingereicht. Dann wurde ich aus deren Datenbank gelöscht.“ Hierbei handelt es sich um eine Vorgabe aus der Datenschutzverordnung – allerdings dürfe das nicht bei behinderten Menschen passieren. „Da war ich immer noch ganz ruhig. Mir wurde versprochen, dass ich jetzt in der Datenbank bleiben werde.“ Man weise die Mieter bei Registrierung per Mail hierauf hin, erklärt die Stadtbau auf Nachfrage. Da die Prozesse digitalisiert seien könne schlichtweg auch nichts verloren gehen. In den folgenden zwei Jahren kam Jutta Iczak zu keinem Ergebnis. „Ich habe mich dann auch bei anderen Stellen erkundigt und mein Anliegen möglichst breit gestreut. Es ist einfach sehr schwer an eine rollstuhlgerechte Wohnung zu kommen, da es auch einfach nicht so viele davon gibt.“

Zu- und Absage
Schließlich entstanden in der Schopenhauerstraße neue Wohnungen. Im Sommer 2022 dann ein Hoffnungsschimmer für Jutta: In einer Mail von der Stadtbau hieß es: „Sie sind für eine der Wohnungen vorgemerkt.“ Knapp ein Jahr später fand in der Schopenhauerstraße eine Hausbesichtigung statt. Jutta lag zu diesem Zeitpunkt nach einer Operation im Krankenhaus, allerdings war eine Freundin vor Ort. „Ihr wurde da nochmals bestätigt, dass eine der Wohnungen für mich vorgesehen ist. Sie durfte sogar Fotos und Videos für mich machen.“ Die Vorfreude trug Jutta durch diese schwere Zeit und die Reha. Ursprünglich sollte das Gebäude im Herbst 2023 fertig werden. Allerdings meldet sich lange niemand mehr bei der 59-Jährigen. „Im Internet wurde der Fertigstellungstermin immer weiter nach hinten verschoben.“ Updates vom Stadtbau kamen allerdings nicht. Erst im November bekam Jutta wieder eine Nachricht – allerdings keine erfreuliche. „Die Wohnung benötigen wir leider anderweitig, dieses Angebot an Sie können wir leider nicht aufrecht erhalten“, so die Stadtbau. Ein Schock für die Obernauerin! „Eine Absage nach dieser langen Zeit und mir wird nicht mal der Grund genannt.“ Als Ausgleich wurde ihr eine andere Wohnung angeboten – hier lag der Fertigstellungstermin noch weiter in der Zukunft. Seitdem hörte sie nichts mehr von der Stadtbau.

Aschaffenburg gut aufgestellt
Auf PrimaSonntag-Anfrage berichtet Andre Kazmierski, Geschäftsführer der Stadtbau Aschaffenburg, dass man sich aus Datenschutzgründen nicht zu etwaigen Vermietungsaktivitäten äußere. „Grundsätzlich ist es aber so, dass wir zum gegenwärtigen Stand niemals verbindliche Zusagen machen. Vielmehr machen wir unverbindliche Vormerkungen und auch die Fertigstellungstermine finden die Mietinteressenten transparent auf unserer Homepage.“ Zum Eröffnungsfest des Quartiers habe man begonnen, die Wohnungen unverbindlich zu reservieren. Das war für jedermann offen. An dem Tag war auch die Stadt dabei und hat im Rahmen der Förderung Beratung angeboten. „So war es nach meiner Einschätzung noch komfortabler für die Interessenten.“ Nach seiner persönlichen Einschätzung ist die Stadt Aschaffenburg in diesem Bereich sehr gut aufgestellt. „Was man auch an der Erstellung des Wohnungsmarktkonzepts ablesen kann.“ Zudem unterstütze die gesamte Stadtpolitik die Aktivitäten im sozialen Wohnungsbau seit Jahrzehnten sehr intensiv. „Zusammenfassend empfinde ich es als sehr positiv. Ohne mich zum konkreten Fall äußern zu können, hat Ihre Leserin eine unverbindliche Reservierung einer modernen und hochwertigen Neubau-Wohnung und wir hatten entgegen des bundesweiten Trends keinen Baustillstand. Im üblichen Bauablauf gibt es immer wieder Verschiebungen. Bei dem Wetter kann bspw. nicht gestrichen und verputzt werden. Dafür gehen Innenarbeiten weiter. Mangelnde Transparenz und fehlende Rückmeldungen muss ich von uns weisen. Zur Messung unserer Servicequalität erheben wir die Zufriedenheit der Kunden. Die Ergebnisse sind auch bei der Erreichbarkeit sehr gut.“

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Das Gebäude in der Schopenhauerstraße

Umdenken kommt zu spät?
Klaus Bauer ist der Behindertenbeauftragte des Marktes Stockstadt. Für seine Tätigkeit ist er im ganzen Kreis bekannt. „Man hat das Thema senioren- und behindertengerechte Wohnungen bis vor zehn Jahren nur stiefmütterlich behandelt.“ Aktuell würde zwar etwas passieren, allerdings gebe es trotzdem nicht mal annähernd genug Wohnraum. Ein Fall sei ihm besonders in Erinnerung geblieben. „Dabei suchte ein Mann im Rollstuhl jahrzehntelang eine Wohnung, da er in einem Haus ohne Aufzug wohnte.“ Der Mann sei bis zu seinem Tod sozial total vereinsamt. „Die geburtenstarken Jahrgänge kommen ja jetzt erst ins Seniorenalter“, erklärt der 63-Jährige. „Damit steigt auch die Zahl der behinderten Menschen.“ Selbst wenn es jetzt sofort ein Umdenken geben würde, fehle das Geld und auch die Zeit die Lücke zu schließen. Dazu kommen die Baukrisen. „Wir steuern da in den nächsten Jahren auf eine riesen Katastrophe zu!“ Jutta Iczak möchte in erster Linie auf das Thema aufmerksam machen. „Es geht ja hier um viele Schicksale, die ungewiss in der Luft hängen.“ Ihr fehlt es bei alldem vor allem an Transparenz. „Ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen hier zu ihrem Wort stehen.“

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Klaus Bauer sitzt selbst im Rollstuhl. Foto: privat